Höffes philosophisch fundiertes und an Sachwissen reiches Werk versteht sich als eine Kritik der Freiheit im kantischen Sinne. Es werden nicht bloß die Klassiker der Freiheitsphilosophie referiert, sondern die Sache selbst wird reflektiert ausgelotet. Das behandelte Themenspektrum ist weit gefasst: Höffe reflektiert grundsätzliche und aktuelle Fragen der Freiheit unter den Bedingungen einer globalisierten Welt in Technik, Medizin, Erziehung, Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft, Kunst und Politik.
Zudem findet sich ein ausgezeichnetes Kapitel zu den neuesten Ergebnissen der Neurowissenschaften und deren Ansprüchen hinsichtlich der Beurteilung der Freiheitsfrage. Treffsicher und pointiert werden hier verschiedene Fehlschlüsse nachgewiesen. Auszüge dieses hochaktuellen Kapitels sind es wert, mit Schülern der Oberstufe diskutiert zu werden.
Höffe nimmt das große Ganze der Freiheitsfrage lebensklug und mit einem optimistischen Grundton in den Blick, übergeht dabei aber nicht die wesentlichen Details. Er weist nach, dass die Freiheit für uns heute alternativlos ist, aber auch ihren Preis hat: Wir kommen nicht umhin, uns immer entscheiden zu müssen, und wir können die Freiheit missbrauchen, indem wir das Böse tun. Durch die Lektüre wird deutlich, dass sich Höffe selbst als Vertreter eines aufgeklärten Liberalismus kantischer Prägung versteht. Das zeigt schon der Satz, mit dem sein Buch beginnt und auch endet: »Die Freiheit ist das höchste Gut des Menschen, sie macht seine Würde aus.« Wer erwartet, in einer aktuellen Studie zur Freiheit, die zweifellos das Potenzial hat, zu einem Standardwerk zu avancieren, Hinweise auf Rudolf Steiners »Philosophie der Freiheit« zu finden, wird in dieser Hinsicht – aber auch nur in dieser – enttäuscht. Wer sich für das Problem der Freiheit interessiert, der wird gegenwärtig keine profundere Studie dazu finden als Höffes neuestes Werk.
Otfried Höffe: Kritik der Freiheit. Das Grundproblem der Moderne, geb., 398 S., EUR 29,95, Verlag C. H. Beck, München 2015