Die Schülerfirma BerlinBees

Adrian Staudacher

Spätsommer in Berlin-Steglitz: An der Emil-Molt-Akademie zeigen sich neue und bekannte Gesichter zum Schuljahresbeginn. Die neue Klasse der Auszubildenden der Kaufmännischen Assistenz (KAS-17) befindet sich zusammen mit den Auszubildenden im zweiten Ausbildungsjahr (KAS-16) in einem Lernbüro – einem Raum für Büro-, Lager- und Fabrikationssimulation der Schülerfirma BerlinBees. Die Schülerinnen-und-Schüler-Firma arbeitet dort in der regulären Unterrichtszeit. Mit Bienenvölkern werden hier unterschiedliche Honigprodukte, Kosmetika, Kerzen, Kekse und Pralinen, hergestellt. Vor einigen Monaten erschien sogar ein eigenes Honigkochbuch.

In dem umgewandelten Unterrichtsraum und an den Standorten der Bienenhaltung erfahren die Auszubildenden die Grundlagen des kaufmännischen Berufs praktisch. Es geht um die Pflege der Bienen, die wir in Zusammenarbeit mit dem Verein Mellifera betreiben, der sich dem bienengemäßen Imkern verschrieben hat.

Das saisonabhängige Imkern und die Schwankungen unserer Umsätze machen die permanente Anwesenheit der sechs geschäftsüblichen Abteilungen (siehe Punkte 1-6 der Grafik) unnötig. Die Organisation der Firma richtet sich neben den pädagogischen Gesichtspunkten ausschließlich nach dem Bienenkalender und den Verkaufsmöglichkeiten zur Weihnachtszeit. Das Firmenleben ist ein interdisziplinäres Unterrichtsfach. Hier wird konferiert, geplant, abgestimmt, produziert, verwaltet und auch gestritten – und Kompromisse werden geschlossen. Von Anfang an weisen die Lehrkräfte auf die Notwendigkeit der Freiwilligkeit und der Identifikation aller Beteiligten mit der Firma hin.

In der Darstellung der Schnecke wird sichtbar, dass das Schuljahr für die Auszubildenden im ersten Ausbildungsjahr (orangener Kreis) mit dem Lernfeld 1 (Beschaffung) beginnt und für die Auszubildenden des zweiten Jahres (gelber Kreis) mit dem Lernfeld 4 (Lager). Alle curricularen Fächer der Ausbildung sind inhaltlich nach dieser chronologischen Lernfeldeinteilung ausgerichtet.

Das Schuljahr folgt dem Jahreslauf: Von September bis Oktober wird in beiden KAS-Klassen die Hochphase der Imkerei abgeschlossen. Die sich auf den Winter vorbereitenden Bienenstöcke sind dabei Sinnbild und Veranschaulichung der zurückgehenden Beschaffung von Pollen und Nektar, der Produktion und Konservierung, der Einlagerung und diesbezüglichen Arbeitsteilung in einem fast perfekt funktionierenden sozialen Organismus. Zum anderen wird durch die Lernfelder der Beschaffung/des Erntens und Einkaufens und des ordentlichen und sachgerechten Lagerns die Saison der Weihnachtsfeiern und Basare an der Emil-Molt-Akademie und anderen Berliner Waldorfschulen – während der Lernfelder 2 (Produktion) und 5 (Vertrieb) in den Monaten November bis Januar – vorbereitet.

In den bienenaktiven Monaten Februar bis Mai befassen sich die Schülerinnen und Schüler des ersten Ausbildungsjahres mit dem Lernfeld 3 (Personal); und die des zweiten Ausbildungsjahres wiederholen im Rahmen des Lernfeldes 6 (Geschäftsprozesse) alle bisher im Unterricht erlangten kaufmännischen Kenntnisse und trainieren ihre Kompetenzen. Zum Schuljahresende werden Firma und Bienen auf die Akademieruhe und den Bienenfleiß der heißen Sommermonate vorbereitet, während die Abschlussklasse für die drei Lernfeldprüfungen zum Ausbildungsabschluss übt.

Durch die Mitarbeit in der Schülerfirma tragen die KAS auch einem zusätzlichen Lernziel Rechnung: der Selbstständigkeit, das heißt einem verantwortungsvollen Umgang mit der persönlichen Freiheit und der Fähigkeit, Handlungsverantwortung für sich selbst, für das nähere Umfeld und für die Welt zu entwickeln – ganz im Sinne des Leitgedankens der Akademie: »Wirtschaft verstehen und sozial handeln können«.

Zum Autor: Dr. Adrian Staudacher ist Lehrer an der Emil-Molt-Akademie Berlin. Er unterrichtet die Fächer Wirtschafts- und Sozialkunde sowie Französisch im Bildungsgang der Kaufmännischen Assistenz (KAS), Hauswirtschaftslehre im Bildungsgang der Sozialassistenz (SAS) und sozialwissenschaftliche Lernfelder im Bildungsgang der anthroposophischen Heilerziehungspflege (HEP).