Leonhardt lässt den Leser die Temperamente als vielfältige Lebenskräfte, als Variationen der sich über das ganze Leben entwickelnden ätherischen Lebensbedingungen erfassen.
Er macht darauf aufmerksam, dass die Temperamente – unabhängig vom individuellen Temperament – eine allgemeine ätherisch-leibliche Entwicklungsaufgabe haben: im ersten Jahrsiebt mit Blick auf das Melancholische, dann das Phlegmatische, das Sanguinische und im vierten das Cholerische. Wird ihr zeitlich bedingtes Wirken festgehalten oder vorzeitig entwickelt, entstehen die individuellen Temperamente mit ihren Einseitigkeiten. So bildet im ersten Jahrsiebt das Melancholische einen Schutz für den physischen Leib, der gegenüber der noch zu starken äußeren Lebenswirklichkeit die schützende Lebenshülle der Mutter zum Rückzug braucht. Wird diese vorübergehende Wirkung des Melancholischen über das erste Jahrsiebt hinaus festgehalten, entsteht das einseitige individuelle melancholische Temperament.
Unabhängig von den Jahrsiebten und den individuellen Temperamenten weisen die vier Lebensalter: Kindheit, Jugend, Reifealter und Greisenzeit ein je charakteristisches Temperament auf, in dem sich das Leben zeitlich entfaltet – nicht elementarisch-leiblich, sondern ätherisch-geistig.
Die Ätherkräfte, die in den Lebensalter-Temperamenten wirken, entfalten sich Leonhardt zufolge »über das ganze Leben von der Geburt bis zum Tode und treten im Untergrund der Seele auf als Äußerung und Begleitung des normalen Lebensprozesses«.
Es ist das Ich, das zu den Einseitigkeiten der vom Elementarisch-Leiblichen her gewordenen und festgehaltenen individuellen Temperamente die positiven Seiten der Lebensalter-Temperamente hereinholen und beide zum Ausgleich bringen kann. Dazu muss der Erziehende dem Kind aus der Wärme seines Herzens Hilfestellung leisten. Ein Buch, das jedem Pädagogen wärmstens empfohlen sei.
Wolfgang Leonhardt: Temperament und Lebenswirklichkeit. Zur Erneuerung der Temperamentenlehre in Pädagogik und Selbsterkenntnis, Taschenbuch, 210 S., EUR 18,50, Pro Business, Berlin 2016