Die Volksinitiative »Schule in Freiheit«

Kurt Wilhelmi

Immer wenn der OMNIBUS für die Volksabstimmung unterwegs ist, gehen wir von der Überzeugung aus: Wir Bürgerinnen und Bürger sind mündig, wir tragen die Verantwortung für das, was passiert. Diese Mündigkeit und Verantwortungsfähigkeit können sich am besten in Schulen entwickeln, die selbst mündig und verantwortlich sind, die also sich und ihre Arbeit selbst bestimmen können. Direkte Demokratie und freies Schulwesen gehören zusammen wie das frische Blattwerk einer Pflanze mit ihrer belebenden und versorgenden Wurzel. Die Volksinitiative »Schule in Freiheit« ist der Versuch, ein Gespräch in Gang zu bringen, das den Boden für eine Neugestaltung unseres Schulwesens bereitet. Bereits 2010 haben wir in Berlin genügend Unterschriften für eine öffentliche Anhörung im Landesparlament gesammelt. 2013 haben wieder über 29.000 Menschen unterschrieben und am 27. Februar 2014 kam es zur zweiten Anhörung. Wurde die erste Volksinitiative noch allein vom OMNIBUS getragen, so wurde die zweite Volksinitiative schon von einigen Organisationen unterstützt, so auch vom Bund der Freien Waldorfschulen. 1919 wurde die erste Waldorfschule gegründet. Seitdem hat die Waldorfschulbewegung viel erreicht: Allein in Deutschland wurden bisher über 230 Waldorfschulen gegründet. Es gibt zwar für die Schulen in freier Trägerschaft in Deutschland gravierende Einschränkungen von Seiten des Staates, doch die Waldorfschulen konnten bis jetzt leidlich damit umgehen.

Pädagogische und finanzielle Einschränkungen

Die erste Einschränkung ist die in Fragen der pädagogischen Freiheit. Denn unser Staat gibt einheitliche Schulabschlüsse vor, die von den Schülern für Bewerbungen gebraucht werden. Deshalb müssen die Schulen in freier Trägerschaft diese Abschlüsse anbieten und ihre pädagogische Arbeit darauf ausrichten. Doch immerhin: Zwar müssen besonders in den höheren Klassenstufen die Inhalte und Formen dieser Abschlüsse im Unterricht übernommen werden, in den ersten Schuljahren allerdings besteht eine größere Freiheit, die Arbeit entsprechend dem eigenen pädagogischen Konzept zu gestalten.

Die zweite Einschränkung ist die finanzielle. Schulen in freier Trägerschaft werden nur zum Teil öffentlich finanziert, in Berlin beispielsweise bekommen sie nur etwa 65 Prozent dessen, was vergleichbare staatliche Schulen erhalten. Den Rest müssen die Schulen von den Eltern als Schulgeld einnehmen. Die Waldorfschulen haben so das Modell der gestaffelten Beiträge entwickelt, so dass auch ärmere Familien durch ein geringeres Schulgeld den Weg in die Waldorfschule finden können.

In letzter Zeit gibt es innerhalb der Waldorfschulbewegung sehr interessante Entwicklungen, welche die beiden Einschränkungen deutlich als real existierende Grenzen hervortreten lassen: Erstens das von nordrhein-westfälischen Waldorfschulen entwickelte Abschlussportfolio. Diese neue Form eines Schulabschlusses bietet die Möglichkeit, die Fähigkeiten und Leistungen der Schüler deutlich individueller herauszufordern und darzustellen als das staatlich verordnete Zensuren-System. Doch was nutzt ein Abschlussportfolio, wenn die Zugangsberechtigung zu den Universitäten und Hochschulen weiterhin an das staatliche Abitur gekoppelt ist? Zweitens das Konzept der Interkulturellen Waldorfschule. Die erste gibt es in Mannheim-Neckarstadt – weitere Gründungen in Stuttgart und Berlin. Doch wie soll man längerfristig arbeitsfähig sein, wenn man im sozialen Brennpunkt von den Eltern kein Schulgeld verlangen kann und will?

Neue Rechtsformen für die Schulen entwickeln

Von daher ist es verständlich und konsequent, wenn der Bund der Freien Waldorfschulen die Berliner Volksinitiative »Schule in Freiheit« unterstützt. Die bestehenden Grenzen müssen weg! Sie sind veraltet und verhindern die Entwicklung der Kreativität. Der interessante Punkt dabei ist: Die bestehenden Grenzen sind Rechtsformen. Rechtsformen aber können geändert oder neue entwickelt werden: Das Recht auf pädagogische Freiheit bis hin zur Gestaltung des Schulabschlusses und das Recht auf gleichberechtigte Finanzierung für die Schulen in freier Trägerschaft.

Die Verwirklichung dieser neuen Rechtsformen würde nicht nur den Waldorfschulen, sondern allen Schulen zugute kommen. Die pädagogische Freiheit gäbe zum Beispiel auch den Montessorischulen die Möglichkeit, einen eigenen Abschluss zu entwickeln. Die gleichberechtigte Finanzierung gäbe auch den Freien Alternativschulen die Möglichkeit, öffentlich und ohne Schulgeld zugänglich zu sein. Und warum sollten die staatlichen Schulen ausgenommen sein? Auch sie brauchen mehr Autonomie und Hoheitsrechte.

Die Idee der Volksinitiative »Schule in Freiheit« ist also: Wir erreichen für das einzelne pädagogische Konzept die Freiheit, indem wir diese Freiheit für alle pädagogischen Konzepte erreichen. Ein freies Schulwesen wird sich in einer vielfältigen Schullandschaft verwirklichen, mit einer Vielfalt an pädagogischen Konzepten, die sich gegenseitig anregen und die sich aus der Erfahrung heraus weiterentwickeln.

Indem wir uns in dieser Überzeugung immer mehr einig sind und die entsprechenden Freiheits- und Finanzierungsrechte demokratisch hervorbringen, bekommt die Vielfalt im Schulwesen ihren gesunden und tragfähigen gesellschaftlichen Boden.

Ich würde mir wünschen, dass die Waldorfbewegung immer stärker in die Arbeit für ein freies Schulwesen einsteigt, in den einzelnen Bundesländern, deutschland- und europaweit. Immer mehr Volksinitiativen, eines Tages auch einmal der erste Volksentscheid, können entstehen. Und dabei bin ich zuversichtlich: Denn die allererste Volksinitiative »Schule in Freiheit« gab es bereits 1998 in Schleswig-Holstein – mit Unterstützung der dortigen Waldorfschulen.

Links: www.schule-in-freiheit.de | www.omnibus.org | www.apf-nrw.de | www.interkulturelle-waldorfschule.de