»Die Waldorfschulen sind nicht so gut, dass sie nicht über Qualität sprechen müssten«

Valentin Hacken

Erziehungskunst | Was ist die WaldorfSchülerVertretung und was sind ihre Ziele?

Valentin Hacken | Die WaldorfSV ist der Bundesschülerrat der Freien Waldorfschulen und wurde 2002 im Rahmen einer Jahresarbeit von Lukas Mall gegründet, damals mit dem Anliegen, eine an staatliche Schülervertretungen angelehnte Organisation auch bei Waldorfschulen einzurichten. Sie wird von einem Sprecherkreis geleitet, der sich aus sehr dynamischen und gesellschafltich unglaublich engagierten Leuten zusammensetzt. In den letzten beiden Jahren sind die gesellschaftlichen Themen zugunsten einer starken Schülervertretungsarbeit etwas ins Hintertreffen geraten. Mit der nun beschlossenen Geschäftsordnung und mit der Eröffnung unserer Geschäftsstelle in Offenburg ist der Übergang in sich selbst tragende Formen geschafft, so dass wir den Rücken frei haben für unser Kernanliegen: die Schüler zu vertreten, um zur Entwicklung der Waldorfschulen beizutragen.

EZ | An welchen Themen arbeiten Sie inhaltlich?

VH | Waldorfpädagogik und Pädagogik im allgemeinen zu erarbeiten ist grundlegend und gehört zur Fortbildung für Schülervertreter. Diese Arbeit leisten wir laufend, sie befähigt uns zu eigenen Standpunkten. Im Moment beschäftigen wir uns gerade mit Fragen der Inklusion, den Umgang mit Rudolf Steiner, der Medienpädagogik und auch mit der aktuellen Qualitäts- und Identitätsdebatte im Bund.

EZ | Wie ist denn Ihr Umgang mit Rudolf Steiner?

VH | Ich finde Leute sehr anstrengend, die Steiner-Bilder abhängen müssen, um kritische Distanz zu zeigen. Er ist der Begründer unserer Schulen und man muss ihn nicht verstecken, sondern sich kritisch und in der Sache mit ihm befassen, genauso wie mit anderen Pädagogen. Ich befürworte sehr den Grundimpuls.

EZ | Wie sieht die Zusammenarbeit mit dem Bund aus?

VH | Finanziell und rechtlich ist die WaldorfSV schon lange ein Teil des Bundes, vom Selbstverständnis her hat sich das erst in den letzten beiden Jahren richtig vollzogen. Ich bin sehr froh, dass wir als WaldorfSV nun die offenen und herz­lichen Einladungen des Bundes annehmen und so weit sind, dass wir zusammen nach einer guten Routine für die gemeinsame Arbeit suchen können. Der nächste Schritt ist nun, den Bundesschülerrat gleichberechtigt zum Bundeselternrat als Organ des Bundes zu etablieren.

EZ | Woran arbeiten Sie inhaltlich mit dem Bund?

VH | Das ist die Qualität an Waldorfschulen. Die letzte Mitgliederversammlung hat eindrücklich gezeigt, wie weit der Weg noch ist. Beispielsweise halte ich die in einer Podiumsdis­kussion erhobene Forderung, die Debatte über gemeinsame Qualitätskriterien einzustellen, nicht nur für dumm, sondern auch für gefährlich. Ebenso das Verständnis, dass ein Pädagoge nur Gott und seinen Schülern gegenüber eine Verantwortung hat. Das ist für mich geistiges Mittelalter. Schließlich auch die zynische Bemerkung, schlechten Schulen würden die Schüler ausgehen.

EZ | Diese Positionen sind aber keine Mehrheitsmeinungen.

VH | Stimmt. Aber es geht hier um Tendenzen, gegen die wir uns mit aller Kraft stellen werden. Denn die Waldorfschulen sind nicht so gut, dass sie nicht über Qualität sprechen müssten. Es geht hier nicht um Dekoration, sondern um Schüler, deren Zukunft erheblich von deren Schulzeit abhängt. Wer hier die Frage nach der Qualität der Waldorfschulen nur mit sich selbst abmachen will, ist selbstherrlich und geht an der Praxis vorbei, schon aufgrund der gemeinsamen Aufgaben, wie etwa der Lehrerausbildung.

EZ | Was ist die Position der WaldorfSV in dieser Debatte?

VH | Wir befürworten Mindestvereinbarungen, eine untere Grenze, die nicht unterschritten werden darf. Dabei wollen wir nicht im Ergebnis festlegen, was gute Schule exakt ist. Wir wollen festhalten, welche Prozesse vorhanden sein müssen, damit das Ergebnis eine gute Schule ist. Es geht also nicht um Gleichförmigkeit im Ergebnis, sondern um Qualität im Prozess. Vor einigen Wochen hat die Versammlung der WaldorfSV folgerichtig beschlossen, den Bund dazu aufzufordern, dass er eine un- ab­hängige Ombudsstelle für alle Schulen einrichtet. Wir wollen, dass keine Schule stehen bleibt. Notfalls braucht es dazu auch Wahrnehmung von außen.

EZ | Was soll diese Ombudsstelle tun?

VH | Schulträger, einzelne Lehrer, Schüler und Eltern sollen diese Stelle anrufen können. Sie entscheidet dann frei, ob sie tätig wird. Sie soll allen Beteiligten eine sachliche Wahrnehmung der Situation ermöglichen. Sie soll keine Handlungsempfehlungen geben, das liegt im Bereich der Beteiligten. Aber oft kommt gar kein sinnvoller Prozess in Gang, weil sich einzelne Teilnehmer vehement  den Tat­sachen verschließen.

EZ | Werden Sie damit ernstgenommen?

VH | Nun, das werden wir sehen. Es ist uns auf jeden Fall ernst. Nach zwei Jahren, in denen alle Seiten betont haben, wie wichtig Schülervertreter sind, sind wir nun da und machen unsere Arbeit.

EZ | Gibt es von Seiten der Schulen Widerstand oder eher Unterstützung? Klappt die Kooperation?

VH | In den allermeisten Fällen wurden die Schülervertretungen als Bereicherung wahrgenommen und erfahren Unterstützung von den Schulen. Hier vollzieht sich gerade der erfreuliche Wandel, dass verantwortliche Mitarbeit von Schülern als selbstverständlich betrachtet wird. Doch wir erleben immer noch einzelne Schulen, die aus diffusen Gründen nicht einmal staatliche Standards erfüllen. Hier sind auch die Landesarbeitsgemeinschaften aufgefordert, nachzuhelfen.

EZ | Wieviele Schüler sind in der WaldorfSV organisiert?

VH | Das ist keine einfache Frage.Die WaldorfSV ist ein Netzwerk, dessen genaue Mitgliederzahl sich so gar nicht be­ziffern lässt. Der Vorstand besteht aus sieben Personen, die ehrenamtliche Geschäftsstelle aus vier. Dazu kommen Projektgruppen, regionale Arbeits­gruppen, Helfer und Partner. Uns eint das Anliegen »gute Schule«. Wir wollen eine Pädagogik, die ganz im Hier und Jetzt ist und nicht vertrocknet. Für uns ist das ein gesellschaftliches und politisches Anliegen. Ansonsten sind die Ansichten und Personen wunderbar unterschiedlich.

EZ | Was haben Sie sich für die Zukunft vorgenommen?

VH | Wir wollen mittelfristig in allen Bundesländern stabile regionale Arbeitsgruppen etablieren. Damit beginnen wir derzeit in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Lang­fristig geht es – wie immer, wenn man etwas erreichen will –, um ein Ideal. Wir wollen Waldorfschulen, die noch viel stärker als heute freie Menschen erziehen, die direkt am Zeitgeist sind, ohne sich ihm zu unterwerfen. Wir haben so viele gute Schulen, das wird werden.

EZ | Verlieren Sie als Schülerfunktionär nicht den Kontakt zur Basis?

VH | Das ist eine lustige Frage. Dass mich inzwischen mehr Menschen kennen als vor drei Jahren, ist Teil meiner Arbeit als Vorstand für Pädagogik und Öffentlichkeit. Ich versuche, mit meinen Kollegen meine Arbeit im Sinne der Schüler gut zu machen. Die flachen Strukturen der WaldorfSV lassen es nicht zu, dass man abhebt, das wäre auch albern.

EZ | Was wollen Sie später im Leben mal machen – Waldorflehrer?

VH | Ich möchte eigentlich schnell reich werden … Nein, Spaß beiseite. Ich möchte nun erst mal mein Abitur schaffen. Zum Glück habe ich eine gute Mentorin, die mich daran immer wieder erinnert. Danach geht es grob gesagt mit dem weiter, was ich hier tue, nur werde ich mich dann wohl irgendwo zwischen Jurastudium und Kabarett wiederfinden.