Das Buch des Politikwissenschaftlers und Mitgliedes der Enquete-Kommission des Bundestages »Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements« stellt Bildung als einen Pfeiler sozialer Bürgerrechte dar, auch wenn Bildung und praktisch angewandte Pädagogik in dem Buch nur eine untergeordnete Rolle spielt. Dafür erhält der Leser einen umfassenden Einblick, wo und in welchen Themengebieten sich Bürger um einen größeren Einfluss auf das politische Geschehen bemühen. Den Kontrast dazu bildet die an Beispielen belegte Schilderung der derzeitigen Situation, dass es nämlich kaum direkte Einflussmöglichkeiten der Bürger gibt.
Roth ist der Auffassung, dass wir in »vorrevolutionären Zeiten« lebten, und sagt mit Lenin: Die unten wollen nicht mehr, die oben können nicht mehr. Ausführlich legt Roth Beispiele für soziale Bewegungen dar, die nicht nur protestieren, sondern auch Alternativszenarien erarbeiteten, wie die Anti-Atomkraft-Bewegung oder die Anti-Globalisierungsbewegung. Die Interessen dieser sozialen Bewegungen seien im normalen Politikbetrieb nicht oder nur marginal vertreten. In einem Exkurs beleuchtet Roth soziale Bewegungen und ihre Protestformen seit 1949. Sie hätten immer wieder demokratische Impulse geliefert wie etwa die 68er-Bewegung. Ein sehr ausführlich dargestelltes Beispiel sind die Bürgerhaushalte: Bürger – auch Kinder und Jugendliche – diskutieren, wofür ihre Gemeinde oder ihr Bundesland Geld ausgeben sollte. Zentral ist für Roth bei diesem und den anderen Beispielen der direkten Bürgerbeteiligung die »Weisheit der Vielen«.
Zentrales Stichwort für den Bezug zur Pädagogik ist für Roth »citizenship education«. Damit könne aber nicht erst in der Schule begonnen werden, sondern dafür würden die Grundlagen in Familie und Kindergarten gelegt. Wichtig sei die Vermittlung von Empathiefähigkeit und anderen sozialen Kompetenzen. »Citizenship education« werde in Schulen zu wenig gefördert. Wenn bei den Schülerinnen und Schülern der Eindruck entstehe, dass keine Mitwirkung möglich scheint, trage dies zur Politikverdrossenheit bei. Ohne Wirksamkeits- erfahrung kein Engagement. Und auf Engagement kommt es an. An der Schule ließen sich »kleine Gesellschaftsverträge« aushandeln und abschließen, wodurch Demokratie praktisch erfahrbar werde. Wenn solche und andere Initiativen im wahrsten Sinne Schule machen, sind solche Initiativen wie die Partizipation durch das Kinderparlament in Bern bald keine vereinzelten Ausnahmen mehr. Beispiele für mehr Partizipation bietet das Buch zahlreich, die Ideen für die konkrete pädagogische Umsetzung bleiben hauptsächlich dem Leser überlassen – das Buch macht aber Mut dazu.
Roland Roth: Bürgermacht. Eine Streitschrift für mehr Partizipation, 328 S., brosch., EUR 16.–, edition Körber-Stiftung, Hamburg 2011