Die Welt im Spiegel Phantásiens.

Sylvia Führer

Immer wieder Michael Ende: Umjubelt und geehrt, von der Filmindustrie in seinen eigenen Absichten teilweise verdreht, und in der ganzen Welt stets von Neuem als Autor wiederentdeckt. Nach wie vor bezaubern seine originellen Figuren wie etwa die beharrliche Schildkröte, der Scheinriese Tur Tur oder das Mädchen mit der Stundenblume gleichermaßen Kinder und Erwachsene. Am 12. November jährt sich sein Geburtstag zum 80. Mal. Aber wie lebte und dachte eigentlich der Schöpfer von »Jim Knopf«, »Momo« und »Die Unendliche Geschichte«?

Stark geprägt wurde Michael Ende (*1929  †1995) zwischen seinem dritten und sechsten Lebensjahr von einem improvisierten »Kinderland« in München. In dieser Zeit wohnte er mit seinen Eltern neben der Villa einer freiheitlich gesinnten Familie, die einem mittellosen, hochbegabten Aquarellisten und Märchenerzähler, Fanti, Unterschlupf gewährt hatte. Kunstvoll hatte Fanti das ganze Haus von innen bemalt, und er lockte die vier Kinder seiner Gastgeber und den kleinen Michael in seine Fabulierwelt. Wie ein richtender König aus alten Zeiten erzog Fanti die Kinder – liebevoll, aber streng und konsequent. 

Mit sechs Jahren zog Michael mit seinen Eltern nach München-Schwabing, wo die Familie unter Künstlern und Literaten lebte. Hier entwickelte sich sein Gefühl dafür, was Kunst in der Welt zu bewirken vermag. Wenn der Vater, der Maler Edgar Ende, sich in seine Dunkelkammer zurückzog, um sein inneres Auge für die Schau seiner surrealistischen Bildmotive zu öffnen, spürte Michael den tiefen Wahrheitsgehalt dieser »anderen Realität«. Das Miterleben des väterlichen Gestaltens trug mit Sicherheit dazu bei, dass Ende die Not und Zerbombung, die ihn in seiner Jugendzeit traf, relativ gut bewältigen konnte. Die väterliche Prägung half ihm auch, später in der Zeit des »Wirtschaftswunders« künstlerisch einen Gegenentwurf zur modernen Lebensweise aufzuzeigen, dessen Wichtigkeit wir erst in unseren Tagen erahnen: Qualität statt Quantität, Nachhaltigkeit statt Effizienz, Gesamtschau statt Zerstückelung. Nach Beendigung des Krieges schloss sich Michael Ende der wieder gegründeten Christengemeinschaft in München an. Ab 1946 wurde es ihm dank einer finanziellen Patenschaft möglich, die beiden letzten Jahre seiner Schulzeit an der Stuttgarter Waldorfschule Uhlandshöhe zu lernen. Der kooperative Geist im Klassenzimmer begeisterte ihn sehr – schwerer fiel ihm jedoch der Umgang mit den künstlerischen Fächern. Nach der Schule absolvierte Ende eine Schauspielausbildung. Es kam ihm jedoch immer etwas künstlich vor, ständig bis zur Perfektion in unterschiedlichste Rollen zu schlüpfen. Er war erleichtert, als er später seiner eigentlichen Berufung folgen konnte, Theaterstücke und Romane zu verfassen. Ende wurde zu einem Grenzgänger zwischen Phantásien und der Realität, zwischen München und Genzano di Roma, zwischen Christentum, östlicher Weisheit und Anthroposophie – letztere studierte er ausgiebig.

Endes Anliegen war es nicht, eine separate, heile Welt zu schaffen, sondern »die Poesie ins Leben zu verweben, im Leben selbst die Poesie zu finden«. Er wollte Raum schenken für den kindlichen Blick auf das verborgene Ganze hinter den Erscheinungen. Ende lädt uns dazu ein, in freiem Spiel die Ganzheit von Kopf, Herz und Tun wieder herzustellen.

Michael Ende beschäftigte sich auch mit Fragen der wirtschaftlichen Neugestaltung, den Ursachen sozialer Ungerechtigkeiten und ihrer Behebung im Sinne Rudolf Steiners und Silvio Gesells. Über diesen Themenbereich stand er mit Verwandten der Autorin und teilweise auch mit ihr selbst in einem regen Briefwechsel.

Link: www.Sylvia-Fuehrer.de