Die Weltenküche. Ein mobiles Kochprojekt mit Flüchtlingen

Reinhard Steidl

Eine neue Idee tauchte auf: Die Flüchtlinge sollten die Möglichkeit erhalten, trotz Arbeitsverbots etwas Sinnvolles zu tun und dafür Anerkennung durch die Einheimischen zu erfahren. Das wollte ich durch das gemeinsame Kochen und Anbieten von Gerichten aus ihrer Heimat erreichen, und zwar in Bio-Qualität und öffentlich!

Essen verbindet, Kochen noch mehr, Anbieten am meisten

Asylbewerber, die untätig sind, stehen vor der Gesellschaft schlecht da, aber auch vor sich selbst! Denn zum Menschsein gehört es, etwas für andere tun zu dürfen, sich durch sinnvolle Tätigkeit zu integrieren und damit letztlich selbstständig zu werden.

Beim Kochen entfällt die Sprachbarriere, beim Einkaufen macht man elementare Erfahrungen mit Orten, Preisen, Qualitäten, beim Zubereiten stehen hinter dem Herd plötzlich Experten für die eigene Landesküche, die virtuos zusammenarbeiten!

Es brauchte also eine Form für ehrenamtliche Arbeit im Verein (die ist ja erlaubt), die in der Öffentlichkeit ausgeübt werden durfte. Deshalb ging es zunächst um die Vereinsgründung, eine Gewerbekarte, Hygiene-Vorschriften – aber bald schon um Fragen der technischen Ausstattung der Küche. Ungelöst war zunächst, auf welche Art wir öffentlich auftreten und wie wir Kontakt zu Köchen finden könnten.

Hilfe kommt, wenn der Entschluss steht

Tatsächlich konnte ich mir vieles ausmalen, sah aber noch nicht alle Wege, um es zu verwirklichen, trotzdem wurde angefangen! Und auf einmal ermöglichte es mir eine Erbschaft, den Bau einer mobilen Küche zu finanzieren, die besser und billiger war als alle gängigen Modelle (wer nicht erbt, müsste einen Sponsor finden, denn um die 20.000 Euro waren schon zu investieren). Auf einem PKW-Anhänger wurde alles eingebaut, was ich zu brauchen glaubte, um mit maximal acht Personen kochen und verkaufen zu können. Im entfalteten Zustand nimmt die Küche fünfmal fünf Meter Platz ein und benötigt zusätzlich zum mitgebrachten Gas nur eine normale Steckdose für die Kühlgeräte. Vor allen Dingen aber kochen wir auf Augenhöhe mit der Kundschaft und bedienen sie nicht von oben herab aus dem Foodtruck!

»Können wir die Weltenküche buchen?«

Wenn ich diese Anfrage erhalte, frage ich als erstes zurück, ob es vor Ort Flüchtlinge gibt, die kochen können. Wir wollen ja nicht mit einem festen Team von Date zu Date reisen – obwohl das auch seine Vorteile hätte –, sondern bei uns wechselt die Belegschaft fast jedes Mal. Wir wollen auf diese Weise vielen verschiedenen Teams den öffentlichen Auftritt ermöglichen, auch wenn es für die meisten nur ein einmaliger ist. In der Regel mache ich den Termin, Zeitrahmen, Stellplatz schon fest aus, ohne bereits das Kochteam zu kennen – es wurde bisher jedes Mal gefunden! So buchten uns bisher Kirchen, städtische Einrichtungen, Betriebe, Vereine, Privatleute – zwischen Mai und November 2017 insgesamt elf Mal, wobei der August frei blieb. Manche Termine lagen im Ramadan, es gab dennoch Köche, die kochen und dabei fasten wollten! Gleich bei unserem ersten Event hatten wir großes Glück: Ein Profi-Koch aus Afghanistan, der schon seit zwanzig Jahren in Deutschland lebt, sagte uns seine Unterstützung zu. So machten wir die ersten Gehversuche an einer sicheren Hand.

Entscheidend ist der »Kristallisationskoch«

Es wird also durch die Vermittlung einer Sozialarbeiterin oder eines ehrenamtlichen Sprachlehrers oder einer Kirchengemeinde der Kontakt zu einem potenziellen Koch hergestellt. Manche sind tatsächlich ausgebildete Köche, aber durchaus nicht alle. Dieser »Kristallisationskoch« kennt noch einige Personen, mit denen er gerne zusammenarbeiten möchte, wir bilden eine WhatsApp-Gruppe, um leicht kommunizieren zu können, und wir vereinbaren einen Probe-Kochtermin bei mir zu Hause.

Das bedeutet, dass ich dann die Gruppe abhole, wir zusammen einkaufen gehen und in meiner Küche ein Abendessen kochen, das auch bei einem öffentlichen Auftritt realisierbar wäre. Das Geld dafür kommt aus der Vereinskasse.

Bei dieser Gelegenheit schreibe ich die Zutaten und die Rezeptur auf, um später eine Grundlage für meine Mengenberechnungen zu haben. Ich sehe auch, ob das Team funktionieren kann und ob alle zuverlässig genug sind. Bei der Abholung muss man schon pünktlich sein können. Außer dem Essen ergibt sich meist auch noch mehr, wie Musizieren, Trommeln oder Erzählen. In einigen Fällen konnte der Verein auch finanzielle Hilfen geben, zum Beispiel eine Monats-Fahrkarte finanzieren, oder einen Sprachkurs ermöglichen, auf den kein Anrecht bestand (ja das gibt’s).

Und wie kommt das an?

Zunächst vermutete ich, dass wir regelmäßig auf Wochenmärkten präsent sein müssten, um bekannt zu werden, es kam aber ganz anders: Kurz nach Freischaltung unserer Website kamen schon die ersten Anfragen für Einzelveranstaltungen und bei solchen möchte ich auch gerne bleiben, denn mit denen kann ich besser planen, was für mich machbar und was zu viel ist.

»Wir müssen 400 Portionen kochen, damit möglichst viele merken, dass die Falafel aus Palästina die besten der Welt sind!« In diesem Satz fasste Khamis aus Gaza seine Vorfreude zusammen. Man stelle sich vor: Frisch eingeweichte Kichererbsen und grüne Erbsen werden von Hand durch den Fleischwolf gedreht, zusammen mit Schnittzwiebeln, Petersilie, Koriandergrün, Dillsamen, Korianderkörnern, Kreuzkümmel und Peperoni.

Da lockt bereits der Duft der Vorbereitungen die Neugierigen herbei, denn wir kochen komplett frisch vor Ort. Was wäre dagegen das Anrühren einer Packung Instant-Falafel-Mehl? Wenn die Mischung abgeschmeckt ist, landet sie geformt und mit Sesam bestreut im siedenden Fett, und sie wird serviert mit ebenfalls selbst gemachtem Hummus und Salat im Fladenbrot ... Da gibt es kein Halten mehr!

Seit unserem Start haben etwa 50 Flüchtlinge einen Kocheinsatz mit der Weltenküche gemacht und waren einhellig begeistert davon. In der Öffentlichkeit anerkannt zu werden, mit dem, was man kann, ist schon ein sehr prägendes Erlebnis!

Noch viel wirksamer scheint mir aber zu sein, dass schon viele Hunderte Gäste (und noch viel mehr Zaungäste) wahrnehmen konnten: »Schau mal, Köchinnen aus Gambia, die sind ja nett, und wie das schmeckt!« Das sagen eben auch Menschen, die bisher noch nicht den Fuß über die Schwelle eines Wohnheims gesetzt hatten. Schwellenabbau ist der Beginn von Integration.

Zum Autor: Reinhard Steidl war 33 Jahre Klassenlehrer und Musiklehrer an der Freien Waldorfschule Ludwigsburg. Seit 2002 entwickelt er mit seinen Fachkollegen die klassenübergreifenden Musikprojekte »Jeder Schüler der Klassen 5-11 spielt in einem Instrumentalensemble«.

Kontakt über: www.weltenkueche.de