Drehbuch fürs Sprachenlernen. Russisch mit dem Medium Film in der 10. Klasse

Natalia Plotkina

Ich teilte die Klasse in feste Zweiergruppen auf, damit die Schüler sich gegenseitig unterstützen konnten. Ein Schüler sollte dem Film die Dialoge ablauschen und der andere die Umgebung, den Szenenablauf und das Bühnenbild beschreiben. Die Schüler sollten ihre Aufgaben abwechselnd tauschen, um sich in beiden Bereichen zu üben. Am Ende dieser Arbeit sollte jede Gruppe ihr eigenes Drehbuch mit Dialogen und Szenenbeschreibungen besitzen.

Diese Aufgabestellung bot den Schülern ausreichend Freiraum, so dass jeder den eigenen Möglichkeiten, der Begabung und dem Ehrgeiz entsprechend den Anforderungen gerecht werden konnte. Das Spektrum reichte von sehr detaillierten Dialogen, wo keine Aussage der Personen ausgelassen wurde, bis zu Beschreibungen, die auf das Wesentliche reduziert waren, ohne dass die Handlung abriss, von sprachlich genauen, fast wortgetreuen Wiedergaben, bis zu Dialogen in eigenem Wortlaut.

Den Unterricht begannen wir mit dem Erarbeiten des am Vortag Gesehenen. Neben inhaltlichen Fragen besprachen wir unsere persönlichen Eindrücke, Interpretationen und Deutungen. Die Gespräche führten wir vorwiegend auf Russisch. Dabei konnten die Schüler, die gefehlt oder nicht alles verstanden hatten, das Geschehene aus dem Klassengespräch erschließen und danach – wenn es für sie notwendig war – nochmals die entsprechenden Szenen anschauen. Unverzichtbar war die Wortschatzarbeit, denn ohne Vokabeln und idiomatische Ausdrücke war das Verständnis des Films nicht zu erreichen.

Vor dem nächsten Filmabschnitt stellte ich Fragen, auf welche die Schüler Antworten aus dem Film bekommen sollten. Diese Fragen zielten darauf ab, das inhaltliche Verständnis der folgenden Filmsequenz zu erleichtern oder das Augenmerk auf bestimmte Filmszenen zu lenken sowie Charaktere oder Schlüssel-Situationen zu erkennen. Die im Anschluss gezeigten Filmeinheiten dauerten drei bis vier Minuten. Dies mag viel zu kurz wirken. Doch wenn man sich klar macht, wie viele Sätze wir in einem fließenden Gespräch in drei Minuten zu sagen vermögen und wie viel Text dabei entstünde, wenn wir das alles aufschreiben würden – dann sind ein paar Minuten auf einmal ganz schön lang.

Die Schüler konnten in ihren Zweiergruppen auf Laptops die Filmabschnitte anschauen. Dadurch stand es jeder Gruppe frei, zu den Szenen für den laufenden Unterricht auch frühere Szenen anzuschauen, um aufzuarbeiten, was sie nicht gut genug verstanden hatten, oder selbstständig schon in die nächsten Szenen hineinzuspicken. Jede Gruppe entwickelte ihr eigenes Arbeitstempo. Die Hausaufgabe bestand darin, die angesehenen Filmabschnitte schriftlich zusammenzufassen.

Am Ende des Projektes stellte ich den Schülern zwei Fragen:

1. Wie beurteilst Du die Arbeit rückblickend?

2. Was hast Du gelernt und wie (sprachlich, inhaltlich)?

Die Schülerrückblicke bestätigten, dass sich durch den intensivierten schriftlichen und mündlichen Gebrauch die Sprachkenntnisse vertieften. Viel subtiler waren die seelischen Prozesse. Die Schüler lernten einen bisher unbekannten, oder besser, nicht wahrgenommenen Bereich des Lebens nachzuempfinden: die Sinneseinschränkung der gehörlosen Menschen und die durch diese Behinderung bedingte Anpassung an die zwar sinnesvollkommene, aber oft genug seelisch taube und rücksichtslose Umwelt.

Zur Autorin: Natalia Plotkina ist Russischlehrerin an der Freien Waldorfschule Stuttgart-Uhlandshöhe und Dozentin an der Freien Hochschule Stuttgart.