Bilde Dir was ein – und bilde Dich

Mathias Maurer

Liebe Leserin, lieber Leser,

das Wort Bildung geht auf mittelhochdeutsch »bildunge« zurück, was so viel wie Bild, Abbild, Ebenbild bedeutete. Bildung schloss die Umbildung des Menschen, seine allumfassende Vervollkommnung, seine Höherbildung hin zum Göttlichen ein. Bildung sah man als einheitlichen Prozess.

Heute ist Bildung gleichbedeutend mit Wissen, akkumuliertes Wissen gleichbedeutend mit höherer Bildung. Wir wissen aber heute auch, dass Wissen ein Verfallsdatum hat – entweder durch neue Entdeckungen oder durch unsere eingeschränkte Gedächtnisleistung. – Wie viel bleibt nach zehn Jahren vom Abitursstoff hängen? – Wir wissen heute auch, dass um so mehr hängen bleibt, je ganzheitlicher sich ein Mensch Wissen zu eigen gemacht hat – nur so erwirbt er sich echte Wissensschätze. Wir vergessen das meiste, wenn das Gefühl, ein inneres Erleben nicht daran beteiligt war. Wissenserwerb, der wahrhaft bildet, muss eingebettet sein in ein übergeordnetes sinnhaftes Ganzes.

Man weiß heute auch, dass nur das intrinsische, das von innen motivierte Lernen, sinnvoll ist. Dazu ist jeder Mensch, ob jung oder alt, nur bereit, wenn der Bildende in einer inneren Verbindung zu dem Bildenden steht, der gebildet wird. Bildung – und dazu zählt nebensächlich auch der eigentliche Wissenserwerb und -transfer – ist menschlich nicht hintergehbar. Das zeigen zum Beispiel die erstaunlichen Leistungs­veränderungen bei Lehrerwechsel. Alle von der menschlichen Beziehung abstrahierte, über Drill oder Erwartungsdruck erzeugte Lernleistung bildet den Menschen nicht, sondern macht ihn zum seelischen Krüppel.

Viele junge Menschen scheinen nicht mehr in ihrem Hunger nach Bildung in die gängigen Bildungssysteme zu passen – passen zu wollen. Bieten wir Steine statt Brot? Was erwarten sie von den Erwachsenen an Speise? Oder ist die Bildungsstätte per se, die Schule, ein Auslaufmodell? Bilden wir uns ein, dass wir noch bilden, in dem ungebrochenen Glauben an Bildungsmethoden und ihre Engführung auf Abschlüsse, die in Wirklichkeit den Menschen verbilden, schlimmstenfalls gar nichts mehr bilden, was den Menschen an Leib, Seele und Geist »veredeln« könnte?

Das humanistische Bildungsethos, das die Herzensbildung mit einschloss, ist längst zu Grabe ge­tragen. In Schulen und Hochschulen zählen – wenn´s ernst wird – Creditpoints und Notenpunkte, modulierte Wissenshappen, statt ein freies studium generale, das auf Einsicht, Erkenntnis und Weisheit baut. Unser Bildungssystem – so scheint es – hat noch keine Antworten auf die brennenden Fragen der Gegenwart und Zukunft gefunden. Vielmehr scheint es anachronistisch, einen status quo ante zu perpetuieren, den es nicht mehr geben kann. Andererseits würde jeder sofort zustimmen, dass Bildung die Quelle zukünftiger – nicht tradierbarer – menschlicher Entwicklung ist.

Aus der Redaktion grüßt

Mathias Maurer