Der Mensch ist nicht sozial, er wird es

Mathias Maurer

Selbst der Erwachsene lernt nie aus, sozialer zu werden. Und die Politik ist ein Teil des sozialen Lebens – gleich ob in unserer näheren Umgebung oder weltweit. So gesehen fängt Sozialkunde im Säuglingsalter an und steigert sich bis zu einem Verständnis komplexer, ja widersprüchlicher globaler Zusammenhänge. –

Wie oft stellt sich uns die Frage, nicht selten aus Kindermund, warum es Kriege gibt, warum sich Menschen gegenseitig umbringen, warum sie sich streiten und nicht in Frieden zusammenleben, warum Politik Kriege »erlaubt«. Das ist ohne eine Entwicklungspsychologie, die mit den langfristigen Wirkungen auf eine Biographie durch frühe Kindheitserfahrungen rechnet, nicht zu verstehen. Denn wer keine Macht, keine Unterdrückung, keine Rache erfahren hat, wird sie auch nicht als erwachsener Mensch ausüben wollen.

Rudolf Steiner entdeckte uns eine rätselhaft erscheinende Wandlung. In dem Vortragszyklus »Die Erziehungsfrage als soziale Frage«, kurz vor Eröffnung der ersten Waldorfschule gehalten, schildert er, wie sich das durch den Unterricht geweckte Weltinteresse des Jugendlichen einige Jahre später zum Ideal weltumspannender Brüderlichkeit verdichtet – die Voraussetzung, um aus sozialer Verantwortung

heraus wirtschaftliche Prozesse zu gestalten. Es wird dann beschrieben, wie die Erfahrung einer geliebten Autorität, zu der das Schulkind im Vertrauen auf seine seelische Reife und Humanität aufschaut, zu der elementaren Empfindung der Gleichheit und Würde aller Menschen in einem noch späteren Lebensalter führt. Sie bildet die Basis für ein gesundes Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden. Schließlich, wie die ab Geburt angeborene Fähigkeit des kleinen Kindes zu vorbehaltloser Hingabe und Offenheit gegenüber seiner Umwelt sich bei der erwachsenen Persönlichkeit in der Möglichkeit widerspiegelt, individuell und frei das gesellschaftliche Leben zu gestalten.

Steiner schildert hier eine Metamorphose der menschlichen Seelenkräfte zu kulturellen Tugenden, die – wenn sie gelingt – von der Nachahmung zur verantworteten Freiheit, von der verehrten Autorität zur würdigenden Gleichheit, vom Welt- und Menscheninteresse zur mitempfindenden Brüderlichkeit führt. Wie gefährdet diese kulturellen Errungenschaften sind, zeigt uns das aktuelle Weltgeschehen.

Waldorfschulen stellen sich vor diesem menschenkundlichen Hintergrund diesem pädagogisch-gesellschaftlichen Auftrag nun um so mehr, indem sie das Fach Sozialkunde einführen.