Künstlich oder künstlerisch?

Mathias Maurer

Oft wird dieses »Angebot« als eine Art praktisch tätiger und emotionaler Ausgleich für die »harten«, kognitiven Fächer gehalten, doch geht diese Betrachtungsweise am Wesentlichen vorbei. Rudolf Steiner ging es um eine Praxis, die alle Bereiche und Schichten des Schullebens und das gesamte menschliche Wesen mit all seinen Fähigkeiten durchdringen sollte. So auch – unabhängig vom Fach – die Unterrichtsgestaltung selbst, so auch die Lehrkraft, die sich als »Erziehungskünstler« mit ihrer Klasse bildet, ja sogar die Sozialgestalt des gesamten Schulorganismus, die Selbstverwaltung, die Konferenz- und Elternarbeit sollte von diesem künstlerischen Prinzip erfasst sein. – Was ist daran noch künstlerisch?

Die Funktion des Künstlerischen ist es, zu gestalten. Um gestalten zu können muss man der Souverän seiner Handlungen sein, also die jeweilige Technik beherrschen – aber das ist noch nicht künstlerisch, nur die Grundlage. Künstlerisch wird es erst jenseits der technischen Könnerschaft, wenn man eigentlich das »Werkzeug« vergisst, den »Stoff« jetzt und in einer konkreten Situation beweglich gestalten kann. Technik hat Maß und Zahl – Kunst geht nur im Prozess – und so kann jeder Lernvorgang sogar im Fach Mathematik ein künstlerisch gestalteter sein, der sich auch der Schönheit nicht verschließt.

An der Quelle jeglicher künstlerisch-kreativen Aktivität erlebt sich der Mensch als ein Wesen, das sein Inneres zum Ausdruck bringt und dadurch Welt verändert. Selbstentfaltung und Weltgestaltung fallen in einem künstlerischen Prozess zusammen.

Unsere Bewusstseinsverfassung ist gewöhnlich eine vorstellende. Wir bilden unsere Erkenntnisse aus Vorstellungen. Dieses Vorstellungsbewusstsein zeichnet sich gegenüber seinen Wahrnehmungsinhalten durch hohe Wachheit und Urteilsfähigkeit aus, aber auch dadurch, dass es keine großen sinnhaften Zusammenhänge stiftet, sondern sich auf detaillierte Weltausschnitte einschließlich des eigenen Selbst fokussiert. Man steht als vorstellender Mensch sich und Welt distanziert gegenüber, man beobachtet und »verarbeitet« vorwiegend die Eindrücke, die aus einem selbst oder aus der Welt kommen, rezeptiv; rasch schließen sich Urteile an: So und so ist es ...

Ein künstlerisches Bewusstsein schließt die unbewussten und träumenden Anteile ein, sucht aktiv die Teilhabe an der Welt auf und erlebt dabei: Die Welt ist ja in mir und ich bin in der Welt und kann sie gestalten. Kunst also als ein Schaffensprinzip in allen lebendigen (Lern-) Prozessen, das nicht nur unsere Vorstellungen ästhetisieren, unsere Gefühle kultivieren, sondern auch unsere Handlungen impulsieren kann. In jedem Menschen wartet dieser Künstler; ihn zu wecken, meint Erziehung zur Freiheit.