Mut zum Geist

Mathias Maurer

Es muss auch schwieriger werden, denn jeder Mensch will sich heute als eine ganz auf sich selbst gestellte Persönlichkeit erleben, von der er nicht ohne Weiteres abrücken möchte, gleich ob es sich um die Art und Weise, wie man eine Zahnpastatube behandelt, ein Mittagessen zubereitet oder den amerikanischen Wahlkampf beurteilt. Das bringt den Menschen in eine widersprüchliche Situation, denn er kann sich ohne andere Menschen und die Welt um ihn herum nicht erfahren. Er erhält schlichtweg keine Information über sich selbst, wenn er nicht auf andere und seine Umgebung zugeht. Will er sich also selbst besser verstehen, geht das nur, wenn er beginnt, Verständnis für die Welt und seine Mitmenschen um ihn herum aufzubringen. Doch woher soll das Welt-Interesse kommen, wenn er sich im Prinzip selbst genügt, wenn sein Interesse nur soweit reicht, dass er seine eigenen Bedürfnisse befriedigen kann? Wieso sollte er seinen Egoismus aufgeben, wo es doch heute darauf ankommt, dass man seiner eigenen inneren Stimme folgt und sich gegen andere vertreten lernt?

Da hilft nur Horizonterweiterung. Wenn ich zum Beispiel einen Moment darüber nachdenke, was es unter Umständen für weltweite Folgen hat, wenn ich eine Ware, so billig und so schnell es geht, einkaufe. Wenn ich mich kurz besinne, was es bedeutet, wenn in demokratischen Staaten das Recht solange gebeugt wird, dass eine freie Meinungsäußerung ins Gefängnis führt. Oder wenn ich es mir gefallen lasse, dass Milliarden für die Digitalisierung der Kindheit und Roboterisierung der Altenheime bereitgestellt werden. Kann mir das egal sein?

Soziale Fragen lassen sich nachhaltig nicht mit politischen Programmen, nicht mit äußeren Maßnahmen beheben. Wir machen uns viel zu wenig bewusst, dass es unsere Ideale, die Triebfedern für unser Interesse sind, die unsere Anteilnahme wecken und die menschliche Entwicklung im Einzelnen und Sozialen konkret weiterbringen. Begnügten wir uns immer nur mit der sinnlichen Tatsachenwelt und deren Sachzwängen, mit unseren Alltagssorgen, folgten wir immer nur unseren Ängsten, weniger zu verdienen, nicht die beste Ausbildung zu haben oder nicht alle Lebenschancen für unsere Kinder genutzt zu haben, sind wir zum Stillstand verdammt. Die Menschheit hat andere und größere Probleme als die, die wir in unserem eigenen Lebenskreis produzieren und uns mit ihnen im Kreise drehen lassen. Es braucht Mut, wider die Sachzwänge des wirtschaftlich und rechtlich durchregelten Lebens sich für geistige Ziele einzusetzen – nicht als Sahnehäubchen kulturellen Lebens oder wissenschaftlichen Diskurses, sondern als gesellschaft­lichen Wert an sich, der auf die Bildsamkeit und fortschreitende Humanisierung des Menschen setzt.