Nichts für Egoisten

Mathias Maurer

Das heißt: Eine unsere Empathiekräfte verstärkende und sozial positiv sich auswirkende Meditationspraxis verträgt sich nicht mit egoistischen Selbstoptimierungsinteressen. Ja, Steiner geht soweit, dass das Meditieren nicht mir, sondern der Weltentwicklung dient.

Eine weitere Voraussetzung wird genannt: Hält man das Meditieren für eine Verpflichtung oder gar ein Muss, ist man schon auf dem Holzweg. Es soll dem Bedürfnis nach einer freien Tat entspringen, die nicht von unserem äußeren Leben bestimmt ist. Steiner warnt sogar davor, in eine meditative Praxis einzusteigen, ohne die Bereitschaft, sein gesamtes Repertoire an Denk- und Gefühlsgewohnheiten sowie Handlungsroutinen einer Überprüfung unterziehen zu wollen. – Drei Beispiele seien aufgeführt.

Wir leben überwiegend in einer Vorstellungswelt. Gedanken strömen auf uns ein, bleiben hängen, weitere werden assoziiert oder ziehen weiter. Diese uns umgebende Gedankenflut, so Steiner, gilt es zurück­zudrängen und an einem einfachen bestimmten Gedanken, unabhängig von seinem Inhalt und unabhängig, ob dieser Gedanke falsch oder richtig ist, willentlich geführte, weitere, nicht von außen angeregte

Gedanken anzuschließen. Wesentlich für diese Meditation ist die aufgebrachte Willenskraft, die wir einsetzen müssen, um an einem Gedanken zu bleiben und nicht abzuschweifen. Steiner nennt diese Übung Gedankenkontrolle.

Etwas aus vollkommen eigener Initiative zu tun ist eine weitere Übung. Meist werden unsere Handlungen von familiären, beruflichen und äußeren Erfordernissen bestimmt. Damit ist nicht der Restaurant- oder Kinobesuch gemeint, sondern eine sinnlose, zweckfreie Handlung – und sei es, jeden Tag zur gleichen Uhrzeit den Radiergummi von einer Seite des Tisches auf die andere zu legen. Diese Übung wird auch als Handlungskontrolle bezeichnet.

Unsere Gefühle treiben uns seelisch um. Wir schwanken zwischen den Extremen »Himmel hoch jauchzend« und »zu Tode betrübt«, bei abgeklärten Charakteren nur noch an den Mundwinkeln erkennbar. Hier gilt es, durch innere Gelassenheit sich nicht in Lust und Schmerz zu verlieren oder in reaktiver Weise dem unmittelbaren, ja hemmungslosen Ausdruck eines Gefühls nachzugeben. Diese Zurückhaltung zielt nicht auf eine Unterdrückung unserer Gefühle, sondern auf eine Verfeinerung unserer Empfindungs­fähigkeit und eines geführten und gestaltbaren Ausdrucks in Freude und Leid.

Steiner beschreibt das Meditieren auch als einen künstlich hergestellten Zustand der Langeweile. Die gegenwärtigen zivilisatorischen Errungenschaften drohen uns diesen Freiraum innerer Entwicklung immer mehr zu nehmen; sie zerstreuen uns, lassen uns nicht zur Besinnung kommen. Fünf Minuten Meditieren am Tag würden aber ausreichen, der inneren Leere etwas entgegenzusetzen. – Wer probiert’s?