Verborgene Wirkungen

Mathias Maurer

Eine quasirituelle Beschmückung, die zum Teil mit chirurgischer Hilfe unter die Haut gebracht wird und eine bleibende Einheit mit dem Körper eingeht. Dass der Körper als eine Schaubühne der eigenen Identitätsfindung eingesetzt wird, ist kein neues Phänomen. Neu ist die Dimension, mit der der menschliche Leib heute massenhaft bearbeitet und modelliert wird – nach Vorbildern, die die Kassen der Anbieter füllen.

Der Körper gleicht einer Dauerbaustelle der Selbstoptimierung, die Palette der Interventionen reicht von Kosmetik, Fitnessstudios, Diätplänen, Wohlfühltees bis hin zu Schönheitsoperationen, Prothetik und Transplantaten. Der Kult um den Körper ist die neue sinnstiftende Religion. Joggen und Wellness ersetzen die Besinnung auf Höheres, die neue Bibel ist die Gesundheits-App. Es geht nicht mehr darum, dass etwas Größeres als das eigene Selbst dem Leben eine sinngebende Richtschnur geben könnte, es geht um die Gestaltung der schieren Physis. Wer früher nach dem Seelenheil strebte, dem war sein Fitnesslevel zweitrangig. Wer heute nach dem perfekten Körper strebt, sucht in diesem sein Seelenheil.

Peter Sloterdijk schreibt in »Du musst dein Leben ändern«, dass das Enhancement-Fieber dem Menschen die Illusion einpflanze, durch äußerliche Anwendungen sich und sein Dasein auch als Individuum und Subjekt selber zu gestalten ...

Neugierig, ob sich Rudolf Steiner auch zum Thema »Tätowierungen« geäußert hat, wurde ich tatsächlich fündig. In einem Vortrag, den er vor den Arbeitern des Goetheanum in Dornach am 13. Februar 1924 gehalten hat, führt er Folgendes aus: »... diese Zeichen, die sich die Menschen auf die Leiber machen, die hatten ursprünglich eine ganz große Bedeutung. Nehmen Sie zum Beispiel an, der Mensch ritzt sich ein Herz ein auf seinen Leib. Nun ja, wenn er bei Tag herumgeht, so hat das keine große Bedeutung im Wachen. Wenn er aber schläft, dann ist das ein sehr bedeutungsvoller Eindruck auf seine schlafende Seele, was er sich in die Haut eingeritzt hat, und dann wird das ein Gedanke in seiner schlafenden Seele, den er natürlich am Morgen wieder vergessen hat, wenn er zum Bewußtsein kommt. Aber es entstand dieses Tätowieren ursprünglich eigentlich aus der Absicht, bis in den Schlaf hinein im Menschen zu wirken.«

Angenommen es trifft zu, dass Tattoos im Schlaf unbewusst als Gedanken auf die Seele wirken, dann müssten wir uns fragen, ob wir die Folgen der Beschriftung und Bebilderung überblicken können. Was bedeuten Totenköpfe, Drachen- und Fabelwesen, Blumen und Namen? – Wir stoßen an die Grenze zwischen sinnlich wahrnehmbarer Botschaft und ihrer unbewussten Wirkung.