Wer sucht, findet

Mathias Maurer

Sozial erwünscht kleidet sie sich in alle Arbeit, sorgt für Effizienz und Optimierung, selbst die eigene Körperlichkeit betreffend: fit und jugendlich. Exotischer und privater, nicht minder unser Verhalten bestimmend, erscheint sie in Zusammenhang mit Eifer, gar Rache, aber auch mit unschuldigem Naschen, Spotten, Genießen und Gefallen. Sie bedient auch das Abenteuer, die Harmonie, die Sensation, das Vergnügen, das Sparen und Verschwenden wie die Liebe und den Tod gleichermaßen – die Sucht.

Und sie lässt sich steigern – zur Gier: nach Macht, nach Neuem, nach Essen, nach Besitz oder Geld, nach Profit oder Ruhm – ein Verlangen, das sogar Mord und Wissen unter ihrem Begriff vereint.

Was als eine Entgleisung aus der Normalität gilt, ist sozial definiert und wird vom Umfeld entsprechend positiv oder negativ sanktioniert. Auch wenn gelegentlich der Eindruck entstehen mag, dass sich die moderne Informationsgesellschaft nicht weit von der Stammes- und Herdengesellschaft entfernt hat – man denke nur an die Schwarmbewegungen in den sozialen Netzwerken –, kommt es heute mehr denn je darauf an, wie der einzelne Mensch allein auf sich gegründet zu einem eigenen Urteil kommt. Das Diktum der politisch korrekten und normativen Sozialität ist omnipräsent und neigt zu Mittelmaß, Anpassung und Servilität. Was wir aber brauchen, ist ein unerschütterliches Bekenntnis zur Individualität und ihrer Freiheit. Rudolf Steiner nennt dies ethischen Individualismus. Unser Ich ist gefragt, das – mehr als zu Zeiten offensichtlicher äußerer Bedrohung –, nun immer öfter im Kern angegriffen wird, nicht zuletzt durch das, was das Potenzial in sich trägt, uns zu kontrollieren, zu manipulieren und zu zerstören. Dazu gehört alles, was uns süchtig machen kann.

Die Präventionsexpertin Felicitas Vogt definiert Sucht als eine Ersatzhandlung des menschlichen Ich. Sie beschreibt die Sucht als einen zwanghaften und dauerhaften Drang, durch Außenstimulation, gleich welcher Art, die Stimme des eigenen Ich zu verdrängen. Besonders in Konfliktsituationen würden Ersatz- oder Ausweichhandlungen eintreten, die aber nur durch Eigenanstrengung zu lösen wären. Das kennt jeder von sich selbst aus seinem Alltag.

Hinter der Sucht steckt die Sehnsucht nach Selbstwirksamkeit und Selbstentwicklung – die aber keinen Ansatzpunkt in einem menschlichen Gegenüber findet, die abrutscht auf dem Glatteis makelloser Lebensbewältigung anderer, die keine Abgründe kennen darf.

Unsere Aufgabe ist es, die Identitätssuche auf dem steinigen Weg durch Einsamkeit und Heimatlosigkeit nicht in Sucht und Abhängigkeit gleiten zu lassen. Einheit mit sich und der Welt kann nur aus innerer Freiheit gefunden werden.