Ein Güterbahnhof wird Schule

Die Schule kontaktierte Swen Geiss von team51.5°architekten, der an der Alanus Hochschule in Alfter Architektur lehrt. In einem Werkstattverfahren wurde 2016 die Machbarkeit des Projektes untersucht. Der Architektur-Student Simon Koolmann (29) hat im Rahmen seiner Bachelorarbeit einen Entwurf entwickelt, der dem Görlitzer Kollegium vorgestellt wurde.

Erziehungskunst | Herr Koolmann, wie sind Sie zu diesem Thema für Ihre Abschlussarbeit gekommen?

Simon Koolmann | Durch das Werkstattverfahren bei der Entwicklung des Projektes habe ich die Schule und das Grundstück kennengelernt. Gleichzeitig war ich im letzten Jahr meines Studiums auf der Suche nach einem Thema für die Abschlussarbeit.

Interessiert haben mich die Rahmenbedingungen einer jungen, sich entwickelnden Schule – ein weitläufiges Grundstück mit den prägnanten Güterhallen – in einer für mich neuen und vielschichtigen Stadt.

EK | Ist das nicht eine Nummer zu groß für eine einzügige Schule mit zur Zeit zehn Klassen?

SK | Die Größe ist natürlich eine Herausforderung für die junge Schule. Doch dadurch bieten sich vielfältige Entwicklungspotenziale, beispielsweise ein erweitertes Oberstufenkonzept. Mit der Entwicklung des Standortes von einer Brache zu einem lebendigen Schulort werden sich voraussichtlich weitere Akteure für den Standort interessieren. Bereits jetzt plant die Stadt als Partner auf Teilen des ehemaligen Güterbahnhofs einen umfangreichen Grünraum.

EK | Wie kann man sich das vorstellen: aus einem Güterbahnhof soll eine Schule, eine bauliche Hülle mit schönen Klassenzimmern entstehen, wo sich Kinder wohl und geborgen fühlen?

SK | Dies muss kein Widerspruch sein. Die Güterhallen haben keineswegs den Charakter heutiger Industriebauten. Das sehr bildhafte und verzweigte Holztragwerk im Inneren prägt die Atmosphäre des Raumes und lässt in den zukünftigen Unterrichtsräumen eine lebendige Dachhülle entstehen. Über Nischen, Ecken und Emporen können auch in der Raumhöhe differenzierte Bereiche entstehen. Die auskragenden Dächer ermöglichen geschützte Übergangsräume zwischen Innen und Außen.

EK | Die Hallen sind denkmalgeschützt und entsprechende Auflagen müssen eingehalten werden. Wie lösen Sie dieses Problem?

SK | Ich sehe das momentan nicht als Problem. Das Wichtigste ist zunächst einmal der sehr gute Austausch zwischen Schule, Planern und dem Denkmalschutz. Hilfreich ist zudem, dass alle Beteiligten ein großes Interesse daran haben, die Gebäude wieder in Nutzung zu bringen. Die Struktur der Güterhallen lässt eine Gestaltung im Interesse der Schule zu, so dass es keine radikalen Abbrüche braucht. Die Schule ist sehr bemüht, den Charakter des Ensembles zu wahren, das schafft Vertrauen auf Seiten des Denkmalschutzes und eröffnet Gestaltungsspielräume für neue Elemente.

EK | Gibt es auf dem ehemaligen Industriegelände keine Altlasten? Was passiert damit?

SK | Mögliche Altlasten im Außenraum und Schadstoffe in den Gebäuden wurden in Gutachten vor dem Hintergrund einer zukünftigen sensiblen Nutzung durch Kinder analysiert, dokumentiert und bewertet. Insgesamt sind die Gebäude als vergleichsweise unbelastet anzusehen. Der Gleisschotter weist leichte Kontaminationen auf, die durch Bodenaustausch beseitigt werden.

Die Gebäudesubstanz weist keine bautechnischen Schadstoffe auf. Punktuell gibt es leichte Verunreinigungen durch die Lagernutzung, die gut beseitigt werden können.

EK | Welche planerischen Vorstellungen hatte die Görlitzer Schule, welche das Büro team51.5°architekten von Swen Geiss, für das Sie arbeiten? Wie kamen die unterschied­lichen Vorstellungen zusammen?

SK | Alle Beteiligten hatten aus ihrer Perspektive Ideen, Visionen und Wünsche für die neue Schule. In gemeinsamen Workshops haben wir als Planer in mehreren Schritten mit der Schulgemeinschaft die Ideen und Gebäude mit den Rahmenbedingungen und Notwendigkeiten zusammengebracht. In einer frühen Phase wurde beispielsweise der innere Aufbau der Schule betrachtet und räumlich mit dem Gebäude in Beziehung gebracht. Aufgrund dessen haben wir Varianten entwickelt, die im nächsten Workshop vorgestellt und diskutiert wurden. Über diesen Weg entwickelte sich das Wissen über die Gebäude, die Planung und die Rahmenbedingungen. Die sukzessive Qualifizierung der Planung schaffte Vertrauen und Mut. Überzeugend waren die vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten. Noch ist es aber ein weiter Weg bis zum Einzug, der gemeinsame Kräfte erfordert.

EK | Sie waren mit Ihrem Entwurf sogar für den deutsch-polnischen Architekturförderpreis BDA-SARP-Award 2017 nominiert. Leider waren Sie nicht unter den Preisträgern. Das Projekt soll aber aus EU- und Landesmitteln mitfinanziert werden. Die Anträge laufen. Wie sind die Aussichten?

SK | Das Schulprojekt ist Teil des städtischen Entwicklungsprojekts Brautwiesenbogen, das eine grundlegende Förderzusage vom Land Sachsen hat. Die Stadt Görlitz unterstützt die Schule und steuert Eigenmittel bei. Diese Rahmenbedingungen lassen alle hoffnungsvoll auf das Projekt blicken. Eine genaue Förderzusage wird es aber erst Mitte 2018 geben.

EK | Was interessiert Sie an Görlitz, dass Sie sich auf dieses Projekt an diesem Ort eingelassen haben?

SK | Görlitz erschien mir schon bei meinem ersten Besuch als charaktervolle Stadt. Besonders die bewegte Geschichte und die Menschen dahinter interessierten mich während meiner Abschlussarbeit. Görlitz ist eine Stadt mit großen Freiräumen und Potenzialen. Ich treffe immer wieder Menschen, die nach Görlitz ziehen, um andere Möglichkeiten zur eigenen Entfaltung und Entwicklung zu haben.

EK | Was ist der aktuelle Planungsstand und wann wird es losgehen?

SK | Wir haben über die Frühjahr- und Sommermonate 2017 gemeinsam mit der Schule einen Entwurf (Leistungsphase 3) entwickelt. Dieser wird nun für den Förderantrag baufachlich vom Sächsischen Bau- und Immobilienmanagement geprüft. Wir hoffen, Anfang 2019 mit dem Umbau beginnen zu können. Für das neue Schuljahr im Sommer 2020 ist der Einzug angestrebt.

EK | Sie waren Waldorfschüler an der Rudolf-Steiner-Schule Nürnberg und Witten. Hat das Ihre Berufswahl beeinflusst?

SK | Ich habe mir nach dem Abitur vier Jahre Zeit jenseits der klassischen Berufsqualifizierung genommen, ehe ich mit dem Studium begonnen habe. Im Gutshaus Hugoldsdorf in Vorpommern habe ich über die eigene Erfahrung am Bauen die Architektur für mich entdeckt. Die Waldorfschulzeit hat mir hierfür das Vertrauen in den eigenen Weg mitgegeben.