Ein Raum für kleine und große Sorgen. Streitschlichter am Kräherwald

Eva Tilgner

»Schon seit der ersten Klasse war ich allein.« Mit traurigen Augen schaut Claudia (Name geändert) in die Welt. Gerne erinnert sie sich nicht zurück. »Sie haben böse Ausdrücke zu mir gesagt. Sie haben mich rumgeschubst, gehänselt und sogar geschlagen ...« Als die Schultage immer mehr zur Hölle wurden, setzten die Ängste ein: »Ich wollte nicht mehr in die Klasse gehen. Da fing ich das Schauspielen an: Kopfschmerzen, Bauchschmerzen – mir war jede Ausrede recht um zuhause zu bleiben.« Die Anrufe der besorgten Mutter bei den Eltern der Klassenkameraden brachten ihr nichts als weitere dumme Sprüche auf dem Schulhof und dass Claudia die Schule weiter hasste. Bis zu dem Tag, an dem sie mit dem Streitschlichterteam ins Gespräch kam. »Ich war so erleichtert, dass die Streitschlichter mir helfen«, erinnert sich das Mädchen. Gemeinsam mit ihnen und den Lehrermediatoren fand die Aussprache der Klasse statt. »Die Streitschlichter schilderten meine Situation. Meine Mitschüler waren ganz still. Dann kamen alle zu mir und haben sich entschuldigt.« Besonders freute sich Claudia, dass auch die Mädchen um Verzeihung baten, nur weil sie sie nicht beschützt hatten.

Während Claudia sich immer alleine wehren musste, gab es zwei Klassen darunter Ärger zwischen Jungs und Mädchen: »Eine Gruppe der Mädels hat uns immer geärgert. Als dann Schulranzen durch die Luft flogen und Trinkflaschen verschwanden, hat unser Lehrer uns in den Streitschlichterraum geschickt.« Ben (Name geändert) war damals ganz schön sauer auf die Mädchen. Aber schon im Gespräch mit den Streitschlichtern war die Wut bald verpufft. »Während die Lehrer immer wissen wollen ›wer hat am meisten falsch gemacht‹, hören wir nur zu.« Streitschlichterin Noa Wilhelmi weiß, wie gut das Zuhören den Streithähnen tut. In Ich-Botschaften werden die Beschwerden dann von den Schlichtern wiederholt: »Ich habe es so verstanden, dass....« oder »Dein Konfliktpartner hat sich traurig gefühlt, weil....« Das Gespräch mit Bens Freunden und den Mitschülerinnen ging die ganze Pause. »Danach haben die Streitschlichter einen Vertrag mit uns gemacht. Jeder musste unterschreiben.« Mit einem »recht guten Gefühl« verließen die Schüler nach dem Gespräch den Streitschlichterraum, die neue Anlaufstelle für Schüler bei großen und kleinen Sorgen täglich zwischen 9.50 Uhr und 10.05 Uhr. »Jeder kann kommen, auch mit Kleinigkeiten!« Helene Betz von dem Streitschlichterteam hat schon oft erlebt, dass gerade aus den »Kleinigkeiten« großer Ärger entstehen kann. »Eltern können da oft nicht helfen. Die regen sich nur auf, rufen dann bei den anderen Müttern an und am Ende geht es gar nicht mehr um das Kind.« Der große Vorteil des Austrags von Konflikten mit Hilfe der Streitschlichter liegt für Helene auf der Hand: »Wir haben Schweigepflicht. Niemand wird verpetzt.« Besuch bekommen die Streitschlichter nun öfter – zum Beispiel von Claudia: »Wenn wieder etwas vorfällt, dann versuche ich mich zu verteidigen. Aber wenn es zuviel wird, dann gehe ich zu den Streitschlichtern.«

Die Freie Waldorfschule am Kräherwald im Netz.