Es ist ein cineastisches Meisterwerk, eine Bildmeditation, ein Essay in Spielfilmform. Malick ist hier bei seinen biographischen Wurzeln. Der 75-Jährige studierte einst in Harvard Philosophie, dann ging er nach Cambridge für eine Dissertation über Heidegger und Wittgenstein, ehe er durch einen Kurs am Massachusetts Institute of Technology zum Filmemacher wurde.
Film als Mittel menschheitlicher Erzählung, dieses Anliegen untersucht Malick abwechselnd in experimenteller und konventioneller Form. Mit seinem Alterswerk gelingt ihm beides zugleich. Grandiose Landschaftsaufnahmen werden perspektivisch mit den inneren Regungen der Figuren in Einklang gebracht. Am Anfang wird einem ein wenig schwindlig von diesen Kamerafahrten, aber bald gewöhnen sich die Augen daran. Wenn ein Stückchen schräge Bergwiese als Ausschnitt vor den gewaltigen Gipfeln im Hintergrund so erscheint, wie ein Mensch sie im Laufen sieht – dann hat der Zuschauer das Gefühl, das Geschehen aus dem Blickwinkel der Filmfigur wahrzunehmen. Die Figuren wiederum werden so ins Bild gesetzt, dass Malick ihre Gliedmaßen sprechen lässt. Er schneidet oft einfach die Köpfe ab. So sehen wir beispielsweise eine Umarmung konzentriert auf die leibliche Geste der Arme und Hände. Ein kleines Kind springt seinem Vater zur Begrüßung entgegen und die innige Freude zeigt sich in den strampelnden Beinchen, wenn es hochgehoben wird. Man sieht förmlich Begriffe und darum geht es in diesem Film: um den Begriff des freien Willens und der menschlichen Moralität.
Es ist die Geschichte von Franz Jägerstätter, einem realen historischen Vorbild. Der österreichische Bergbauer weigerte sich, einen Treueeid auf Hitler zu schwören und wurde dafür 1943 hingerichtet. Er war kein politischer Widerstandskämpfer und seine Tat blieb im Verborgenen. Erst 1964 erschien die Biografie des US-Soziologen Gordon Zahn »Er folgte seinem Gewissen. Das einsame Zeugnis des Franz Jägerstätter«. Daran knüpft Malicks Filmtitel an, mit der Fragestellung: Was kann ein Handeln im Verborgenen bewirken?
August Diehl spielt die Titelfigur in grandioser Weise, rein mimetisch. Die knappen Dialogtexte sind eigentlich nur Fragmente, dazwischen lange Pausen, in denen die Seelenbewegung erscheint. Auch der Zuschauer hat so Zeit und Gelegenheit, sich innerlich zu befragen. Es wird eine dreistündige Gewissensprüfung, so lange dauert der Film.
Die Integrität von Franz Jägerstätter ist eine Provokation für die Umgebung, im Guten wie im Schlechten. Ob Verwandte, Freunde oder Feinde, sie flehen ihn an, nicht so stur zu sein. Seine Familie nicht schutzlos zurückzulassen und in ein sinnloses und wirkungsloses Martyrium zu gehen, das sich vermeiden ließe. Man bescheinigt ihm sogar, dass er nicht Kriegsdienst an der Waffe leisten muss, sondern als Sanitäter eingesetzt würde. Er solle doch endlich den Eid leisten und die Worte murmeln, bei denen man sich seinen Teil denken könne. Selbst sein Richter – Bruno Ganz in einer seiner letzten Rollen – fleht ihn förmlich an, ehe er das Todesurteil fällt. Aber Franz Jägerstätter hört einfach die Stimme seines Gewissen, das ihm nicht erlaubt Adolf Hitler die Treue zu schwören. Diesen Eid zu leisten, wäre für sein Gefühl ein Verbrechen, eine Lüge, böse. So geht er freiwillig in den Tod, er wird wegen Wehrkraftzersetzung hingerichtet.
Die Darstellung äußerer Gewalt wird dem Zuschauer erspart. Was man sieht, ist dagegen durchaus ein Kampf. Ein Ringen der Seele mit sich selbst, im Kraftraum des Moralischen zu entscheiden, auch im Hinblick auf die eigene Urteilssicherheit. Ob diese individuelle Entschiedenheit eine Rolle spielt im Weltgeschehen, auch wenn sie scheinbar nicht wahrgenommen wird? Ausdrücklich wird diese Frage noch einmal im Abspann formuliert, mit einem Zitat von George Eliot: »... dass die Dinge um uns nicht so schlimm stehen, wie sie stehen könnten – das verdanken wir zur Hälfte denjenigen, die ein gläubiges Leben im Verborgenen geführt haben.«
Ein verborgenes Leben: biographisches Film-Drama, 170 Min. USA, Deutschland 2019, FSK: noch offen.