Ein wichtiger Mann im Hintergrund
Im Gespräch mit dem langjährigen Justitiar im Bund der Freien Waldorfschulen Hans-Jürgen Bader.
Erziehungskunst | Herr Bader, bevor Sie vor über 40 Jahren zum Bund der Freien Waldorfschulen kamen, hatten Sie ja auch schon eine Biographie, die Sie hierher führte ...
Hans-Jürgen Bader | Geboren bin ich 1947 in Kiel. Dort besuchte ich ein Altsprachliches Gymnasium, wodurch zu meinem Leidwesen das Englisch zu kurz kam. Dann studierte ich Jura in Frankfurt. Danach wusste ich nicht, was ich machen sollte, war dann bei einem Steuerberater, doch das wurde mir schnell zu viel, denn es geht bei der Steuerberatung immer nur um den Egoismus und das Geld einzelner Leute. Dann habe ich vom Frank-Teichmann-Seminar in Stuttgart gehört, das ich im allerersten Jahr seiner Gründung 1974 besuchte. Am Ende dieses Seminars war es für mich klar, dass ich irgendetwas auf anthroposophischem Feld machen musste. Ich hatte schon lockere Kontakte zu Manfred Leist, dem damaligen Redakteur der Erziehungskunst und Justitiar des Bundes. Im Gespräch hat sich ergeben, dass er auf dem juristischen Feld eine Entlastung braucht. Das war die Gelegenheit, und so habe ich am 4. Dezember 1978 beim Bund angefangen.
EK | In den 40 Jahren werden sie einiges in der Geschichte des Bundes miterlebt haben. Was hat sich im Laufe dieser Zeit verändert?
HJB | Das Leben im Bund selbst, das heißt in der Geschäftsstelle, hat sich – abgesehen vom personellen Wechsel – eigentlich nicht so sehr verändert. Verändert hat sich das Zusammenleben der Schulen im Bund. Damals hatten die Verbindungen noch etwas Familiäres, das war noch unter der Ägide des Waldorf-Urgesteins Ernst Weißert, den ich noch kennengelernt habe. Nach seinem Tod hat ihn das Dreigespann Stefan Leber, Ernst-Michael Kranich und Manfred Leist beerbt. In dieser Zeit hat sich die Waldorfschulbewegung zeitweise explosionsartig ausgebreitet. Als ich anfing, gab es 70 Waldorfschulen, heute haben wir über 250 in Deutschland und 1.300 weltweit. Das verändert natürlich das Zusammenleben der Schulen, was auch zur damaligen Regionalisierung auf Landesebene führte.
EK | Gab es durch das schnelle Wachstum nicht auch problematische Entwicklungen?
HJB | Es gab immer wieder Schulgründungen, die meinten, sie könnten auch ohne den Bund auskommen. Die Waldorfschule Kempten war damals ein ganz massiver Fall, weil sie sich Waldorfschule nennen wollte und unter dem Einfluss ihres Gründers die »eigentliche« Waldorfpädagogik machen wollte. Mit dem Bund und mit den anderen Waldorfschulen wollte sie nichts zu tun haben. Deshalb mussten wir damals, auch mit Rücksicht auf die sehr restriktive bayerische Landesregierung, die Waldorfschulen eigentlich für überflüssig hielt, einen Rechtsstreit führen.
Durch das Wachstum hatten wir auch einen enormen Lehrermangel. Die Qualitätsanforderungen, die wir eigentlich stellen müssen, konnten oftmals in keiner Weise eingehalten werden, sodass man stellenweise kaum noch von Waldorfschule reden konnte. Doch das ist im Lauf der Zeit wieder ins Lot gekommen.
EK | Hatten Sie im Lauf Ihrer vielen Dienstjahre einen größten Erfolg?
HJB | Immer wieder konnte ich bei den Verhandlungen mit den Kultusministerien die Schulgesetzgebung beeinflussen. Da ich die Erfahrung von 16 Bundesländern hatte, konnte ich auf einen Fundus zurückgreifen, der zum Teil größer war, als der der Ministerien. Die kannten immer nur ihr eigenes Land und schauten ungern über ihre Grenzen hinaus. So konnte ich in Hamburg in den 1980er Jahren einen Schulgesetzentwurf platzieren, der über weite Strecken aufgegriffen wurde, mit dem wesentlichen Punkt einer 85-Prozent-Finanzhilfe, was dann Vorbild für andere Länder wurde. In anderen Ländern war es schwieriger, weil da die Mauern der Ministerialbürokratie sehr hoch waren, zum Beispiel in Bayern oder Nordrhein-Westfalen. Probleme gab es aber auch dadurch, dass auf der Ebene der Landesarbeitsgemeinschaften mancherorts die eigenen Leute versuchten, die Dinge für sich allein zu regeln und ihre eigenen Anwälte hatten. Nachwirkungen davon sind bis heute zu spüren.
EK | Gab es auch größere Niederlagen?
HJB | Wir führten mehrere Prozesse durch alle Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht sogar, mit dem Hinweis darauf, dass bestimmte Ländergesetze gegen Artikel 7 Abs. 4 des Grundgesetzes verstoßen. In diesem Artikel ist die Freiheit der Privatschulen gewährleistet, dass sie eigene Lehrpläne, eigene Lehrerwahl haben können. Da die Länderministerien vorrangig das Bild und die Form der staatlichen Schulen vor Augen haben und versuchen, alles danach zu regeln, war es für sie klar, dass auch die Waldorfschulen sich mehr oder weniger an dieses System halten müssten. Da hatten wir dann immer das Problem, unsere eigenen waldorfpädagogischen Formen durchzusetzen. Bei den Prozessen ging es hauptsächlich um die Finanzhilfefragen, etwa um die berühmten Wartefristen bis zum Einsetzen der staatlichen Finanzhilfe. Das betraf die Schulneugründungen, die jahrelang ohne staatliche Finanzhilfe auskommen mussten. Das stellte und stellt ein massives Hindernis dar. Erfunden wurden diese Wartefristen in Bayern, weil dieses Bundesland in den 1970er-Jahren noch ganz stark auf das staatliche Schulsystem fixiert war. Da durfte es eigentlich überhaupt nichts Anderes geben. Freie Schulen konnten eigentlich nur schlechter sein, weil die besten Schulen eben die eigenen, die staatlichen Schulen waren. Deswegen hat man alles getan, um solche Gründungsinitiativen zu unterdrücken. Das beste Mittel waren dann die sogenannten Wartefristen. Kaum eine Schule hat es geschafft, die ursprünglich einmal zwölfjährige Wartefrist bis zum Einsetzen der Finanzhilfe durch Elternbeiträge zu überbrücken. Deswegen hat das größte Bundesland, Bayern, jahrzehntelang in der Anzahl der freien Schulen erheblich hinterhergehinkt. Heute hat sich das etwas verändert, aber Bayern ist immer noch relatives Schlusslicht, gemessen an seiner Bevölkerungszahl.
EK | Es gibt nicht nur den Beruf. Sie haben ja auch ein großes Hobby. Sie beschäftigen sich intensiv mit Goethe?
HJB | Über die Anthroposophie kam ich auf Goethe. Zentral waren die Faust-Aufführungen in Dornach, die Gesamtaufführung des ungekürzten Faust I und II. Ich habe mir die Inszenierungen in Dornach insgesamt fünfmal angeschaut.
Mit meiner Frau habe ich dann die Goethe-Gesellschaft in Ludwigsburg aufgebaut, viele Studienreisen gemacht, immer auf Goethes Spuren, also nach Böhmen zum Beispiel, auch nach Norditalien, in die Schweiz und ins Elsass. Ich habe auch verschiedene Broschüren und Aufsätze zu Goethes Reisen publiziert.
EK | Wie ich hörte, waren Sie auch viel mit dem Fahrrad unterwegs?
HJB | Das bin ich heute noch! Ja, meistens eben auf den Spuren Goethes. In Norditalien auf den Strecken, die Goethe erwandert hat: Verona, Venedig, Vicenza oder Padua.
EK | Sie begründeten 1995 auch das Institut für Bildungsrecht und Bildungsforschung in enger Zusammenarbeit mit dem Verfassungsrechtler Rüdiger Jach und Benediktus Hardorp.
HJB | Ja, Benediktus Hardop hat seinerzeit die stärksten Impulse für das freie Schulwesen gesetzt. Das Institut hat seinen Sitz in Hannover und der heutige Leiter ist Professor Wolfram Cremer von der Ruhr-Universität Bochum. Wir geben vierteljährlich die Zeitschrift Recht und Bildung (R & B) heraus, die über aktuelle Fragen der Bildungs- und Schulpolitik sowie des Schulrechts unter besonderer Berücksichtigung der Schulen in freier Trägerschaft informiert. Die Zeitschrift wird auch an alle Waldorfschulen versandt.
EK | Was wäre Ihr größter Wunsch für die Zukunft? Wir feiern ja in diesem Jahr das einhundertjährige Jubiläum der Waldorfschulen.
HJB | Ich bin ja schon seit einigen Jahren pensioniert. Da bin ich in den entscheidenden Fragen gar nicht mehr involviert. Aber wenn man da überhaupt Wünsche äußern sollte, dann würden die sich hauptsächlich auf Nordrhein-Westfalen und Bayern beziehen, wo man gegenüber den freien Schulen immer noch restriktiv vorgeht. Die könnten sich wirklich ein bisschen an den viel liberaleren Bundesländern orientieren. Die Vorgaben, die einige Bundesländer machen, sind inzwischen so niedrig, dass wir von unserer Seite – was früher unvorstellbar war – eigentlich sagen müssen: Um Waldorflehrer zu werden, muss man schon ein bisschen mehr tun, um wirklich qualifiziert Lehrer sein zu können.
EK | Stellt der Föderalismus in Sachen Bildung nicht ein Hindernis hinsichtlich Bildungsfinanzierung, Bildungsrecht und Genehmigungsfragen dar?
HJB | Nein, denn dann würde sich ja alles zentrieren und die Gefahr bestünde, dass sich das für freie Schulen ungünstigste Niveau durchsetzt. Das würde dann für alle Länder gelten und die großen Freiheiten, die doch etliche Länder gewähren, womöglich vermindern.
EK | Eine Debatte hat sie ebenfalls ziemlich beansprucht. Es waren die Rassismusvorwürfe gegen Rudolf Steiner um die Jahrtausendwende.
HJB | Ja, das war ein zehnjähriger Kampf. Ausgelöst von dem ZDF-Magazin »Report« im Februar 2000, worin behauptet wurde, das Werk Rudolf Steiners sei von Rassismus durchzogen und damit auch die Waldorfschulen. Das wirkte wie eine Bombe, die überall in den Medien aufgegriffen wurde. Wir waren genötigt, damals bis zum Bundesverwaltungsgericht zu prozessieren – auch weil manche Kultusministerien davon nicht unbeeindruckt blieben.
EK | Mit dem Ergebnis …?
HJB | … dass das so heute nicht mehr behauptet werden darf.
Das Gespräch führte Mathias Maurer.
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