Eine freie Schule braucht die Eltern-Lehrerträgerschaft – ein Plädoyer

Friederun Christa Karsch

Die Aufgabe einer »Schule der Zukunft« ist es, Lernort für Eltern und Lehrer zu sein. Das ist uns nicht in die Wiege gelegt: selbstverantwortlich mit Anderen verträglich zusammenzuwirken! Kollegialität und Eltern-Lehrer-Zusammenarbeit werden zu Lernzielen. Diese sind für uns moderne Menschen mit Anspruch auf Selbstverwirklichung erst einmal eine Zumutung, und zwar je mehr tradierte Verhaltensmuster Vergangenheit werden und Rücksichtnahme, Dienstbereitschaft, Verzicht, Akzeptanz, Nachsicht, Geduld, kurz: aktive Toleranz, zu Fremdwörtern verkommen. Was »man« machte, das machen mann und frau heute nicht mehr. Die Wahrnehmungsfähigkeit fremden Seins und Wollens und die Bereitschaft, sich darauf einzulassen, fehlen, weil sie nicht erübt werden. Was früher Inhalt von Erziehung war und oft – bei der männlichen Jugend durch  Drill – zur Verhaltensdressur entartete, kann heute nur aus individueller Einsicht entstehen. Deshalb ist heute die

Dialogfähigkeit Gegenstand von zahlreichen Publikationen, Seminaren und Schulungen. Wo aber könnte sie besser erworben werden, als in einer von allen Beteiligten mitverantworteten Schule, in der sich Eltern und Lehrer in der Hinwendung zum Kind »vereinen«?

Elterliches Engagement kann nicht eingefordert werden

Die Aufgabenverteilung in einer solchen Schulgemeinschaft ist freilich zu beachten: Die Eltern können nicht hauptberuflich für die Schule tätig werden. Sie haben ihre eigenen Berufe, die ihnen nur all zu oft alle Kräfte und alle Zeit abnötigen. Engagement für die Schule kann nicht bedingungslos eingefordert werden. Aber zumindest Interesse und Vertrauen, um ihrer Kinder willen, sind möglich, ja nötig – sind unverzichtbare Grundlagen für das Wirken der Pädagogen. Diese wiederum sind hauptberuflich verantwortlich, wollen und sollen »Fachleute« für Waldorfpädagogik sein, sodass sie vertrauenswürdig sein können. Nur dann entsteht eine Selbstverwaltungsgemeinschaft von Eltern und Lehrern, die gemeinschaftlich Schule macht.

Insofern muss die Schule als zivilgesellschaftliche Aufgabe begriffen werden, als eine permanente Bürgerinitiative, aus individueller Freiheit ergriffen, auf die Mündigkeit jedes Beteiligten gebaut, als eine Leistung für die Gesamtgesellschaft  – und nicht als staatliche oder private, sondern als freie öffentliche Angelegenheit. Die Waldorfschule darf keine exklusiv-elitäre Veranstaltung einer speziellen Klientel sein. Waldorfschule ist eine öffentliche Schule in freier Trägerschaft.

Bildung muss mehr sein als ein lästiger Kostenfaktor

Kultur – mit Bildung als ihrem Kern – wird in unserer einseitig ökonomisierten Zivilisation mehr und mehr zum lästigen Kostenfaktor – weil man sie nicht als Quelle eines Mehrwerts erkennt. Die traditionelle Schule ist bei vielen sehr schlecht angesehen Das liegt daran, dass die in der (staatlich) verwalteten Schule agierende Lehrkraft weisungsabhängig ist, wenn auch an der langen Leine einer Schein- und Teil-Autonomie. Sie fungiert als Umsetzungsinstrument eines Systems der Auslese durch Benotung – mit der Folge, Richter über Berufs- und Lebenschancen zu sein. Auch die engagiertesten Lehrkräfte geraten dabei unter Generalverdacht der Teilnahme am sozialen Selektionsprozess, dem jene zum Opfer fallen, die ohne ausreichende Lernmotivation nicht normgerecht alle Prüfungshürden zum vorgegebenen Zeitpunkt schaffen. Deshalb heißt es oft: Lehrer werden? Nein danke! Aber: ohne Schule, ohne Bildung, ohne Kultur – keine Zukunft!

Das Ende der Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Mentalität

Eltern und Lehrer müssen sich für eine solche »Schule der Zukunft« von jeglicher Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Mentalität verabschieden. Selbstverwaltung und Unterricht gehören zusammen zum Berufsauftrag, zur Unternehmens-Leistung. Wer was und wieviel im einzelnen übernimmt, ist Aufgabe gemeinschaftlicher Beratung und Beschlussfassung der Schulgemeinschaft. Delegation und Rechenschaftslegung sind dabei notwendige Instrumente effizienter und transparenter Unternehmensführung, und zwar auch gegenüber der Öffentlichkeit.

Die »Schule der Zukunft« bedeutet also einen radikalen Paradigmenwechsel:

  • für Eltern die Herausforderung, sie als »ihre Sache«, nicht als fremde, ihnen per Schulpflicht aufoktroyierte Einrichtung zu verstehen, der sie schnell konfrontativ begegnen; stattdessen sollten sie sich ihr mit Interesse, sich vertiefendem Verständnis, begründetem Vertrauen und Engagement widmen;
  • für Lehrer die Herausforderung, sich mit einem neuen Berufsbild zu verbinden: nicht mehr Be-Lehrer zu sein, sondern Entwicklungsbegleiter für die Kinder und (Mit-)Unternehmer für Kollegen und Eltern  zu werden.

Wer das für illusionär hält, verschließt sich der Lernfähigkeit des Menschen und macht sich blind für das Zeugnis der Geschichte.

Veränderung, Wandel, Entwicklung beginnt – im Zeichen menschlicher Würde und Freiheit – im Kleinen und beim Einzelnen. Die Eroberung der Paläste reicht nicht mehr. Umdenken muss gewollt und eingeübt werden. Und das ist keine Privatsache. Das Recht auf Bildung ist ein Menschenrecht – das allerdings oft mit Füßen getreten und zu bloßer Ausbildung verkürzt wird, orientiert an den jeweiligen Bedarfsannahmen einer Profit- und Konsumgesellschaft. Für eine zukünftige Bildungsgesellschaft bedarf es radikal anderer Sozialgesten.

Die Eltern-Lehrer-Trägerschaft zählt zu den existenziellen Rahmenbedingungen einer Waldorfschule. Und die Jugend hat Anspruch auf Freiheit, auf Selbstbestimmung!

Eine »Erziehung zur Freiheit« braucht Vorbilder, bedarf der verantworteten Freiheit aller an ihrem Zustandekommen Beteiligten. Eltern-Lehrer-Trägerschaft ist nicht »eine intellektuell-gemütliche« (Steiner) Veranstaltung im Sinne von »Man könnte ja mal ...«, sondern eine »moralisch-geistige« Aufgabe!

Zur Autorin: Dr. Friederun C. Karsch, Jahrgang 1937, war 33 Jahre Oberstufenlehrerin an den Waldorfschulen Marburg und Eisenach.