Erde, Wasser, Luft und Feuer. Spiegel der Menschenseele

Andreas Höyng

An einem zeitigen Frühlingstag gehen wir im Schwarzwald an einem rauschenden Bach spazieren. Eisschollen hängen vereinzelt noch an Steinen und an schattigen Plätzen. Die ersten wärmenden Sonnstrahlen lassen das Eis immer mehr schmelzen. Ein leichter Wind geht, die Bäume rauschen. Die Kraft der Sonne ist schließlich so stark, dass das erste Grün sich unter der feuchten Erde regt. – Alltäglich macht jeder von uns vor Ort solche Erfahrungen. Wir gehen mehr oder weniger bewusst in die Natur hinaus, erholen uns dort und kehren erfrischt nach Hause zurück. Wir wissen im Grunde nicht, was uns da geschieht. Wenn wir das Erlebnis in das Bewusstsein holen, erkennen wir, dass die unmittelbare Begegnung mit dem Erdigen, Wässrigen, Luftigen und Wärmehaften uns belebt hat. Unsere ganze Welt ist aus diesen vier Elementen gewoben – sie durchdringen sich fein und wirken immer in einem lebendigen Zusammenhang.

Aus dieser Erfahrung heraus kann man sich fragen, inwiefern die alte Anschauung der Griechen von den vier Elementen, die bis in das 18. Jahrhundert gültig war, zum Verständnis der Natur auch heute noch angebracht ist. Sind die alten Begriffe wie Erde, Wasser, Luft und Feuer noch geeignet für eine moderne Weltanschauung und insbesondere für eine Pädagogik, die den Anspruch hat, aktuell und vor allem zukunftsweisend zu sein?

Liest man sich in die alten Vorstellungen ein, so erhält man ein außerordentlich lebendiges Bild von dem Ineinanderspielen der Natur mit ihren Kräften. Allerdings ist dieses Bild heute in der Naturwissenschaft obsolet. Der heutige Chemiker versteht unter Element etwas anderes, als das, was vormals mit dem Wort »Element« in einem umfassenden Sinne gemeint war. Denn alle heutigen, sogenannten Elemente gehören in die Kategorie des Erdelementes, während Wasser, Luft und Feuer andere Gesetzmäßigkeiten zugrunde liegen.

Rudolf Steiner hat in Anknüpfung an die Anschauung der Griechen für das moderne Bewusstsein einen neuen zeitgemäßen Zugang zu diesen vier Elementen geschaffen und verschiedene Wege gewiesen, wie man die Lehre von ihnen zu neuem Leben erwecken und vertiefen kann – Wege, die dem zeitgenössischen Bewusstsein und Wissenschaftsanspruch gerecht werden. Er beschreibt, wie die Elemente in den verschiedenen Stufen des Nichtsinnlichen urständen und in die sichtbare Welt hineinwirken. Dafür gilt es vier Stufen des Daseins zu erfassen: Die Gesetzmäßigkeit des irdischen (Erde) und kosmischen Daseins (Wasser), die Gesetzmäßigkeit der Weltenseele (Luft) und die Gesetzmäßigkeit des Weltengeistes (Wärme). Darin sind die mineralische, pflanzliche, tierische und menschliche Welt eingeschlossen.

Es beginnt mit dem Staunen

Staunen ist das Tor zum Erkenntnisvorgang. Im Staunen ist man zunächst dem Phänomen hingegeben, ohne schon fertige Begriffe an die Erscheinung heranzutragen. Staunen ist der Ausgangspunkt der Wissenschaft. Es mag für einen naturwissenschaftlichen Forscher verwunderlich sein, dass Erstaunen, seelisches Verhalten wie Verwunderung etwas mit Erkenntnis zu tun haben soll. Man braucht jedoch nur das kleine Kind anzuschauen, wie es im Sand spielt, im Wasser, wie es dem Feuer zuschaut – dann ist diese Aussage evident. Es ist durch die Sinne ganz dem Phänomen hingegeben. Wer die Kinder beobachtet, kann erleben, dass für sie Erde, Wasser, Feuer und Luft selbstverständliche Wirklichkeiten sind. Sie gehen unmittelbar mit ihnen um. Dieser selbstverständliche Umgang verliert sich allmählich und wird so brüchig, dass Pestalozzi in einem Brief den Ratschlag gab: »… lieber im Stall, in der Küche, im Garten, in der Wohnstube, als maßleidig beim Buch und mit nassen Augen abstrahierend …« Für die Pädagogik ist notwendig, diese Welt, die dem Kind noch selbstverständlich ist, wieder aufzuschließen und einzubeziehen, sodass es später mit ihr sinnvoll und verantwortungsvoll umgehen kann. Denn gelingt das Einbeziehen der Elemente in rechter Weise, so kann uns die Natur mit ihrem unerschöpflichen Reichtum langsam vom Erleben zum Denken und Abstrahieren führen.

Im Gartenbau werden die Elemente reguliert

Wenn die Kinder in den Schulgarten kommen, treten sie in ein Reich der Elemente ein, in dem sie nicht nur betrachtend, sondern auch tätig aktiv sind. Allen Arbeiten im Garten, sei es Kompostieren, Säen, Pflanzen aufziehen, Pflegen der Beete, Gießen, Hacken, Ernten, Einlagern von Gemüse über den Winter, liegt ein Handhaben dieser vier Elemente und ihrer Eigenschaften trocken, feucht, heiß und kalt zu Grunde. Um gute Komposterde herzustellen, ist es nötig, dafür zu sorgen, dass der Kompost zu Beginn sich erwärmt, immer die richtige Durchlüftung hat, er weder zu trocken noch zu nass ist. Nur dann erzeugt man einen belebenden Humus. Das Gleiche gilt für alle anderen Tätigkeiten im Garten.

Im praktischen Handhaben offenbart sich die Qualität der Elemente unmittelbar. Die Sinne werden übend geschärft, so dass sowohl der Schüler als auch der anleitende Gärtner, aufgrund erlebter Erfahrung folgerichtige Urteile fällt, die lebenspraktisch und relevant sind. Alle Tätigkeit im Garten ist ein Regulieren dieser Qualitäten und Gesetzmäßigkeiten. Wenn im Frühjahr, die ersten Aussaaten beginnen, das Samenkorn gleich einem kleinen Mineral sofort in der Berührung mit dem Wasser quillt, die trockene erdige Samenschale aufweicht, die Wurzel sich mit der feuchten Erde verbindet, der Stängel mit den ersten zarten Keimblättern sich in den Luft- und Lichtraum orientiert, hat der Gärtner – auch im weiteren Verlauf des Wachstums –, dafür zu sorgen, dass das Verhältnis von diesen vier Elementen und ihren Qualitäten stimmt. Da sie nie einseitig und getrennt auftreten, sondern sich immer fein wechselseitig durchdringen, da das eine ohne das andere gar nicht zu denken ist, muss auch unser Denken in Bewegung gebracht werden. Sonst können wir nicht richtig handeln. Für die Kinder bedeutet das, dass das Wahrnehmen und das Denken, das Hingegebensein an die Erscheinung und das anfänglich gedankliches Erfassen, in eine gesunde Atmung gebracht werden.

Lebenslange Sinneseindrücke

Das Erleben der Elemente in ihren verschiedenen Qualitäten spricht immer auch direkt das Gefühl an und wirkt unmittelbar motivierend. Wenn im Sommer der Duft von frisch gemähtem Gras, dem das Wasser entzogen wird, durch die durchwärmte Luft weht, dann erfahren die Kinder mit dieser Sinneswahrnehmung ein Wohlgefühl, eine Sommerqualität. Es ist ein Eindruck, der sich tief einprägt ein Leben lang. Zugleich bildet dieses Gefühlserlebnis eine Grundlage, um das nötige Interesse zu wecken, den Vorgang verstehen zu wollen.

Aus der seelischen Verbundenheit mit der Natur heraus, kann das Kind dann auch willentlich tätig werden. So geht es im Gartenbau einerseits darum, den Willen zu ergreifen und durch die tätige Arbeit die Natur in der rechten Weise zu verwandeln, und andererseits darum, die Arbeit gedanklich zu erfassen und zu durchdringen. Am Beispiel des Heues bedeutet das, dass für seine Haltbarmachung ein Element entzogen werden muss. Ich erkläre den Kindern diesen Vorgang nicht theoretisch, reduziere ihn auch nicht auf eine chemisch abstrakte Formel, sondern sie erfahren mit allen Sinnen, dass das Wasser dem Gras entzogen wird und dadurch eine Verwandlung sich vollzieht und etwas Neues entsteht, das Heu. Dieser Schritt ist notwendig, bevor später der Erkenntnisvorgang auch abstrakt erfasst werden kann.

Welt und Mensch im Zusammenhang

Erfasst man allmählich die Stufenleiter der Gesetzmäßigkeiten der Elemente, so findet man sie nicht nur draußen in der Welt der Naturerscheinungen (Makrokosmos), sondern auch im Menschen (Mikrokosmos) als wirkende und gestaltende Kräfte wieder: »… dass in ihm, in seinen Knochen, das irdische Element lebt, dass in seiner Blutzirkulation und in alle dem, was Säfte in ihm sind, Lebenssäfte sind, das wässrige Element lebt; dass in ihm das luftige Element in der Atmung und Atmungsanregung ..., in der Sprache wirkt, dass das feurige in den Gedanken lebt« (Steiner, GA 233).

Was draußen in der Natur lebt, hat sein Gegenstück in der menschlichen Seele

Beschreibe ich zum Beispiel die Bodenarten in ihrer physikalischen Qualität, so wird das rasch deutlich. Der Sandboden ist leicht zu bearbeiten, ist durchlässig für Luft und Wasser, arm an Nährstoffen. Kommt ein Gewittersturz mit starken Regenfällen, so ist er schnell durchnässt, kommt die Sonne hervor, ist er auch im Nu trocken. Polar dazu haben wir den Tonboden, der schwer zu bearbeiten ist. Er ist im Sommer hart, trocken und rissig. Regnet es, wird er zu einem matschigen Teig und die Erdklumpen bleiben an den Füßen hängen. Er ist reich an Mineralien und Nährstoffen. Es ist nicht schwer, die Brücke zum Seelischen des Menschen zu schlagen. Der Sandboden entspricht in diesem Sinne einem leichten Menschen, der mit allem schnell in Verbindung tritt und diese wieder löst. Der Tonboden hingegen entspricht dem tiefgründigen, nachdenklichen Melancholiker.

Trägt der Lehrer diesen inneren Zusammenhang von Natur und Mensch in sich, dann können die Schüler im Umgang mit der Erde diesen ahnend erfassen. Damit wird Sinnhaftigkeit im weitesten Sinne erlebbar. Die Elemente werden zum Schlüssel für die Überwindung des Dualismus zwischen Mensch und Welt.

Zum Autor: Andreas Höyng ist Lehrer für Gartenbau und freie Religion an der Waldorfschule Uhlandshöhe in Stuttgart.

Literatur:

R. Steiner: Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist, 3. und 4. Vortrag, GA 205, Dornach (1921) 1987 | Ders.: Die Weltgeschichte in anthroposophischer Beleuchtung und als Grundlage der Erkenntnis des Menschengeistes, Neun Vorträge, gehalten in Dornach vom 24. Dezember 1923 bis 1. Januar 1924 (GA 233) | G. Kniebe: Die vier Elemente. Moderne Erfahrungen mit einer alten Wirklichkeit, Stuttgart 1993