Erlebnispädagogische Pilgerfahrt. Auf dem Jakobsweg in Südfrankreich

Franziska Kaufmann, Inga Wisnitzer

Es ist sechs Uhr morgens, noch ganz still und fast dunkel, als wir so leise wie möglich aus den Betten steigen und uns warme Jacken überziehen. Jeder sucht sich draußen in der Morgenfrische für zehn Minuten einen Platz, um allein den Tagesanbruch zu beobachten. Es wird langsam hell, man hört Wasser fließen, sieht in der Ferne ein Auto, einen Hund, riecht den Duft von frisch gebackenen Croissants. Vor uns liegt wieder ein langer, heißer Tag auf dem südfranzösischen Jakobsweg. Wird es heute wieder schmerzhaft für Füße und Schultern werden? Wird es genügend Wasser und Schatten geben? Welche anderen Pilger werden wir treffen? Nach dem Frühstück und der Morgenrunde schultern wir unsere Rucksäcke und machen uns auf den Weg. Leise klirren die Jakobsmuscheln an den Rucksäcken.

280 Kilometer haben wir zu Fuß zurückgelegt und dabei so viel wie möglich Französisch gesprochen und uns mit der Sprache beschäftigt. Wie kann man sich der französischen Sprache, dem Land, der Kultur und den Menschen so nähern, dass man einen lebendigen Bezug aufbaut und sich die Sprache mit Begeisterung aneignet? Unsere Antwort darauf ist: Indem man Erlebnisse, Eindrücke, Gerüche, Bilder und Begegnungen mit ihr verbindet.

Hierzu scheint der erlebnispädagogische Ansatz ideal, denn er ist, wie Werner Michl, Professor für Erlebnispädagogik an der Universität Luxemburg, schreibt, eine handlungsorientierte Methode »und will durch exemplarische Lernprozesse, in denen junge Menschen vor physische, psychische und soziale Herausforderungen gestellt werden, diese jungen Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern und sie dazu befähigen, ihre Lebenswelt verantwortlich zu gestalten«. Für uns bedeutet dies, eine Begegnung mit der Welt zu ermöglichen, die berührt und bewegt, Mut macht, die Wahrnehmung der Natur und der Menschen schult und die Selbstständigkeit und Selbstverantwortung fördert.

In der Vorbereitungsphase stellten die Teilnehmer ihre Packlisten zusammen, planten mit Kartenmaterial einzelne Strecken, erstellten eine Liste mit nützlichen Vokabeln für unterwegs und bereiteten landeskundliche Referate vor. Nach dem Projekt entstanden aus den gesammelten Eindrücken und Tagebuchnotizen schöne, persönliche Portfolios, welche die Zeit festhalten und dokumentieren.

Sprache lernen durch Erleben

Was ist – neben der großen Anstrengung und dem Stolz, ein Stück weit seine Grenzen überwunden und so viel gemeistert zu haben – in der Erinnerung haften geblieben? Die beeindruckende Pilgermesse und -segnung in der Kathedrale von Le-Puy-en-Velay. Abends, am Ende eines Weges aus Kerzen, in der Dunkelheit zusammen schweigend den Sternenhimmel betrachten. Unter einer romanischen Brücke in einem erfrischenden Fluss schwimmen. Sehnenentzündung und Erkältung. Der Markttag, wo neben Knoblauch und Wurst auch Kühe verkauft wurden. Crêpes backen. Gemeinsames Singen, Lachen, Erzählen und gegenseitige Ermunterungen. Die Gespräche mit anderen Pilgern. Die neuen französischen Wörter und Sätze – mit vielen verbinden sich jetzt kleine Anekdoten. Das gemeinsame Kochen, zum Beispiel auch des traditionellen, regionalen Aligots – eines Gerichts aus Kartoffeln und Käse mit viel Knoblauch. Die kleinen und großen Kirchen und Kapellen und das Kloster in Conques. Die täglichen Stempel in unseren Pilgerpässen. Die wunderschöne Landschaft des Aubrac. Ein junger Ziehharmonikaspieler am Wegrand mitten im Wald.

Angekommen in Figeac steigen wir, nach dem Rückblick auf die intensive Zeit, um Mitternacht in den Zug nach Paris. Andere Pilger erzählten uns, dass manche auf den letzten Kilometern vor Santiago de Compostella immer langsamer laufen, um nicht anzukommen – so beeindruckend und in jeder Hinsicht bewegend ist das Unterwegssein.

Wir waren froh, unsere müden und wunden Füße ausruhen zu können, aber das Schöne ist auch – da ist unsere Truppe sich einig –, dass wir noch längst nicht den ganzen französischen Jakobsweg begangen haben und es nach diesem ersten Wegstück weitergehen kann!

Alors, à bientôt sur le Chemin de St. Jaques …

Die nächsten offenen Projekte für Schülerinnen und Schüler ab 15 Jahren finden 26. Juli bis 9. August und 24.Oktober bis 2. November 2014 statt.

Weitere Informationen: kaufmannfranziska@ymail.com, Tel. 0176-98235821. | www.aventerra.de

Zu den Autorinnen: Franziska Kaufmann studiert Pädagogik an der Alanus Hochschule. Mit einem ersten Jakobsweg-Projekt hat sie 2013 ihre Ausbildung zur Erlebnispädagogin abgeschlossen (Aventerra e.V.); Inga Wisnitzer studiert Französisch, Spanisch und Philosophie an der Universität Bonn sowie Pädagogik an der Alanus Hochschule.

Literatur: Werner Michl: Erlebnispädagogik, Stuttgart 2011 | Simon Sirch: Erlebnispädagogik: Eine Begriffsbestimmung durch die Brille der neueren Systemtheorie in: e&l (Zeitschrift erleben & lernen), 2/2013, S. 20