Ein idealistischer Realist

Erziehungskunst | Diesen Herbst ging es in Rente. Mit welchem Gefühl hinterlassen Sie das von Ihnen bestellte Feld der Finanzierung der Lehrerbildung?

Thomas Krauch | Mit sehr gemischten Gefühlen. Es ist uns nicht gelungen, die Frage zu klären, wie viel grundständige Studienplätze finanziert werden sollen. Die drei großen Lehrerausbildungsstätten in Mannheim, Stuttgart und Witten wollten Drittmittel einwerben.

Doch das ist nicht gelungen, was ich auch nicht anders

erwartet habe, denn es geht dabei ja nicht um einmalige Zuwendungen, sondern um fehlende Mittel in der Größenordnung von über eine Million Euro, die auf Dauer jährlich eingeworben werden müssten. Nun stehen wir wieder dort, wo wir vor 2015 schon einmal standen. Für mich ist das enttäuschend.

EK | Wie könnte denn ein ideales zukünftiges Finanzierungsmodell aussehen?

TK | Das jetzige, sogenannte Augsburger Modell, halte ich nach wie vor für sehr tragfähig. Es gibt auf der einen Seite klare Kriterien für die Bemessung der Zuschüsse an die Ausbildungsstätten vor, hat uns aber andererseits immer den Spielraum gelassen, situationsbezogen zu handeln. Ich denke, die Schulbewegung ist damit bis heute gut gefahren. Zuvor hatten wir ständig aufreibende Diskussionen um die Finanzierung der Lehrerbildung und die Höhe der Beiträge. Das hat sich doch deutlich verändert.

Ich habe oft darüber nachgedacht, ob die Finanzierung seitens der Schulen nicht über Studiengutscheine oder Stipendien und Studiendarlehen erfolgen könnte. Dazu gab es Ansätze, doch die haben nicht überzeugt.

EK | Der Lehrerbildungshaushalt war aber nicht ihre einzige Aufgabe. Sie haben auch die Geschäftsführung der Waldorf-Stiftung inne. Warum ist sie nötig und wie schätzen Sie die weitere Entwicklung der Stiftung ein?

TK | Wir waren 2017 und 2018 in der glücklichen Situation, dass die Waldorf-Stiftung von der Dr. Ingeborg von Tessin und Marion von Tessin-Stiftung eine jährliche Zuwendung in Höhe von 500.000 Euro erhalten hat und haben gerade erfahren, dass dies auch 2019 und 2020 der Fall sein wird. Damit ist der Verwaltungsaufwand natürlich deutlich gestiegen, da wir nun jährlich rund 650.000 Euro an Fördermitteln zur Verfügung haben.

Wir stehen vor der Herausforderung, gute Projekte zu finden und zu fördern. Die Verantwortlichen in der Tessin-Stiftung erwarten, dass wir mit diesen Geldern in überzeugender Weise die Schulen und die Entwicklung der Waldorfpädagogik fördern. Dafür möchte ich mich in der kommenden Zeit noch mit einsetzen.

EK | Welche weiteren Aufgabenfelder gehörten zu ihrem Verantwortungsbereich?

TK | Als Rainer Jubitz, einer der Geschäftsführer des »Bundes« 1995 plötzlich verstarb, übernahm ich – zunächst kommissarisch – zusätzlich sein Aufgabengebiet, die Verantwortung für die Geschäftsstelle und die Finanzen des Bundes der Freien Waldorfschulen. Trotz anfänglicher Skepsis an meiner Eignung für diese Aufgabe, hat man mir diesen Verantwortungsbereich dauerhaft übertragen. 2001 konnten wir Hansjörg Hofrichter für die Pädagogische Forschungsstelle gewinnen, so dass ich hier entlastet wurde. Neben der Leitung der Geschäftsstelle und der Verantwortung für alle Finanzfragen war die Tätigkeit für den Finanzierungsrat ein ständig wachsendes Arbeitsgebiet. Die Finanzierungsräte arbeiten alle ehrenamtlich. Meine Aufgabe war es, die Sitzungen vorzubereiten und alle Beschlüsse umzusetzen und den Mittelfluss – jährlich inzwischen zwölf Millionen Euro – zu steuern und zu überwachen. Es war für mich eine große Erleichterung, dass vor drei Jahren Christoph Dörsch dazu kam und wesentliche Bereiche meiner bisherigen Tätigkeit übernommen hat, sodass ich mich ganz auf das komplexe Thema der Lehrerbildung konzentrieren konnte. Nun freue ich mich darauf, dieses Arbeitsgebiet an Hans-Georg Hutzel übergeben zu können. Er ist seit langem Mitglied im Finanzierungsrat und daher mit allen Fragen der Lehrerbildung gut vertraut. Ich habe ihn mir schon lange als Nachfolger gewünscht – ein schönes Abschiedsgeschenk!

EK | Sie haben sich immer wieder auch mit dem Thema Altersversorgung befasst: Ist da etwas dran, dass man als ehemaliger Waldorflehrer im Alter kaum von seiner Rente leben kann?

TK | Nein, das ist so sicher nicht richtig. Viele Kollegen haben eine sicher nicht üppige, aber doch ausreichende Altersversorgung. Allerdings befürchte ich, dass das in den kommenden Jahren nicht für alle gelten wird.

Wir haben in den zurückliegenden 20 bis 30 Jahren bei der Altersversorgung einen gravierenden Umbruch erlebt. Es gehörte früher zum Grundethos der Waldorfschulen, dass ehemalige Mitarbeiter auch im Alter über eine betriebliche Altersversorgung auf einem Niveau versorgt sind, das sich am Einkommen der tätigen Kollegen orientiert. Das war selbstverständlicher Konsens, als ich 1982 als Lehrer in die Schulbewegung eintrat. Darauf hat man auch vertraut.

Die Höhe der gesetzlichen Renten ist dann aber gesunken und gleichzeitig sind die Lehrergehälter auch an den Waldorfschulen gestiegen. Die Schulen konnten die Versorgungszusagen nicht länger auf dem bisherigen Niveau aufrechterhalten. Die alten Versorgungsordnungen mussten geschlossen werden. Dieser Prozess verlief leider an manchen Schulen ohne ausreichende Rücksicht auf langjährige und schon ältere Kollegen. Da musste ich immer wieder erleben, dass Kollegen sich bei uns meldeten, die sich von den Schulen unwürdig und ungerecht behandelt fühlten. Manchmal konnten wir erfolgreich intervenieren und die Schulen an den früheren Konsens erinnern, der leider nicht in allen Versorgungsordnungen rechtlich abgesichert war. Neue Vorstände fühlten sich plötzlich an die langjährige Praxis nicht mehr gebunden. Das war für manche Kollegen ein böses Erwachen und hat zu Verbitterungen geführt.

Vor dem Hintergrund der sinkenden gesetzlichen Renten haben wir in Zusammenarbeit mit den Hannoverschen Kassen einen Arbeitskreis zur Altersversorgung gegründet; außerdem haben wir 2012 den Solidarfonds Altersversorgung eingerichtet. Damit haben wir ein Instrument geschaffen, mit dem wir ehemaligen Mitarbeitern helfen können, die von Altersarmut bedroht sind. Die Software AG Stiftung hat uns bei diesem Projekt durch eine größere Zuwendung finanziell unterstützt.

EK | Sie haben die meiste Zeit Ihres Berufslebens mit Finanzdingen verbracht. Geld kann Initiativen verhindern oder ermöglichen. Wie erleben Sie diese Verantwortung als Entscheider und Geldgeber?

TK | Im Umgang mit Geld ist man häufig gefährdet. Ich war mir immer sehr bewusst, dass ich damit Macht hatte und mich prüfen muss, ob ich sie nicht missbrauche. Das ist eine Gratwanderung.

Was neue Initiativen betrifft, habe ich versucht, den Vorstand zu unterstützen und Ideen mit zu entwickeln, wie wir sie auch finanziell fördern und ihnen Vertrauen schenken können. Uns war aber auch immer bewusst, dass es das Geld der Schulen ist und wir damit sorgfältig und auch sparsam umgehen müssen. So bin ich häufig in die Rolle des Bremsers geraten. Ich habe versucht, mich von Spezialinteressen und der Versuchung freizuhalten, es allen recht zu machen. Da ist man natürlich immer tendenziell am Scheitern. Als Gunst des Schicksals betrachte ich es, dass ich selbst ein unverkrampftes Verhältnis zum Geld habe. Das hat mir meine Tätigkeit erleichtert.

EK | Welche wirtschaftlichen – bisher ungelösten – Fragen haben Sie in der Zeit Ihrer Berufstätigkeit nicht losgelassen?

TK | Ich bin ein sehr pragmatisch orientierter Mensch und sehe zwar, dass Vieles verbesserungswürdig ist, habe mich aber immer sehr stark als Zeitgenosse erlebt und gesehen, dass sich die sozialen Verhältnisse sehr langsam ändern. Ich habe nie daran geglaubt, dass wir Waldorfs oder auch wir Anthroposophen auserkoren sind, quasi als Elite alles richtig zu machen. Wo das versucht wurde oder wird, habe ich immer nur Scheitern erlebt. Es geht für mich immer darum, in der konkreten Situation eine möglichst gute Lösung zu finden.

Natürlich sind da immer auch Gesichtspunkte der Dreigliederung im Hintergrund oder andere geisteswissenschaft­liche Ideen, die mein Handeln begleiten, aber nicht bestimmen. Maßgeblich war und ist für mich die realistische Einschätzung der beteiligten Menschen und unserer gemeinsamen Möglichkeiten. Die Auffassung, dass wir die Dreigliederung in den Schulen zu wenig beachten, ist für mich weniger interessant. Mich interessiert, was die vorhandenen Menschen leisten können und nicht, was sie eigentlich leisten müssten.

EK | Welche Situation erinnern Sie als eine der schwierigsten in ihrer beruflichen Vergangenheit beim Bund?

TK | Besonders schwierig, aber auch spannend waren die ersten Jahre meiner Tätigkeit für den Bund der Freien Waldorfschulen. In diesen Jahren war die Führung noch stark auf Stuttgart zentriert. Da gab es viele innere Zerreißproben für mich, da auf der einen Seite zu Recht Loyalität seitens des damaligen kleinen Bundesvorstands von mir erwartet wurde, mir aber gleichzeitig deutlich war, dass diese Führungsstruktur nicht mehr wirklich tragfähig ist und ich deutlich wahrnahm, mit welcher Skepsis auf uns Stuttgarter von vielen Kollegen in den Schulen geschaut wurde. Ich sah damals meine Aufgabe vor allem darin, durch größtmögliche Transparenz in allen Fragen der Finanzen das Vertrauen der Schulen in die Gemeinschaftsfinanzierung zu erhalten. Ich denke, zumindest das ist gelungen.

Diese ersten Jahre waren geprägt durch die Begegnung mit herausragenden Persönlichkeiten: Stefan Leber, Ernst-Michael Kranich, Manfred Leist und Helmut von Kügelgen, die jeden Dienstag neben anderen Vorstandsmitgliedern zu den Sitzungen des sogenannten Kleinen Bundesvorstandes in die Geschäftsstelle kamen. Insbesondere Stefan Leber mit seinem weiten geistigen Horizont und seinem ganz auf das praktische Leben gerichteten Handeln, der damals die Geschicke der Schulbewegung maßgeblich lenkte, hat mich stark beeindruckt. Als er sich krankheitsbedingt zurückziehen musste, war klar, dass diese Pionierzeit sich dem Ende zuneigt.

EK | Es gab auch ein Leben vor dem »Bund«. Sie haben zuvor als Waldorflehrer gearbeitet, haben danach die Branche gewechselt und sind zur GLS-Bank gegangen.

TK | Ich habe Physik und Mathematik studiert und mit dem zweiten Staatsexamen abgeschlossen. Ein für mich mühsames Studium, das ich nur durchgehalten habe, da ich mit großem Idealismus das Ziel hatte, Waldorflehrer zu werden. Schon in meiner ersten Schule in Hamburg-Bergstedt war ich von Beginn an auch mit Selbstverwaltungsauf­gaben befasst. Das hat meine zwölfjährige Lehrertätigkeit begleitet. Finanzfragen haben mich immer interessiert. In einer Phase der Unzufriedenheit mit meinem Lehrersein habe ich ein Traineejahr bei der GLS-Bank in Bochum gemacht. Als ich den Entschluss gefasst hatte, auch noch eine Banklehre zu machen, kam der Anruf von Günther Altehage aus Stuttgart und die Frage, ob ich beim »Bund« mitarbeiten wolle. Die Entscheidung war nicht leicht, doch ich denke rückblickend, dass ich richtig entschieden habe, auch wenn ich mir oft überlegt habe, welchen Weg ich wohl bei der GLS genommen hätte.

EK | Sie gehören zu einer ganzen Generation von ehemaligen Waldorfschülern, die das legendäre Teichmann-Seminar in Stuttgart besucht haben. Was waren Ihre Beweggründe, nach Ihrer Frankfurter Schulzeit an das Seminar zu gehen?

TK | Ich wusste, dass zu meinem Weg die Anthroposophie gehört und erfuhr von der Gründung des Anthroposophischen Studienseminars in Stuttgart, in dem man die Grundlagen der Anthroposophie und insbesondere den Steinerschen Erkenntnisansatz gründlich studieren konnte. Ich erhoffte mir dadurch eine gute Vorbereitung auf mein akademisches Studium und auch mein Lehrersein. Das hat sich dann auch voll erfüllt. Wir waren der erste Kurs mit nur vier Studenten. Hans-Jürgen Bader, der als Justitiar des »Bundes« dann später auch mein Kollege war, gehörte dazu. Und auch Elke Woitinas, die Mitbegründerin des Forum 3 in Stuttgart.

EK | Sie wurden in eine Anthroposophenfamilie hineingeboren. Ihr Vater, Hans-Georg Krauch, war Lehrer an der Frankfurter Waldorfschule, später Dozent am Lehrerseminar in Mannheim und eine auf Bundesebene bekannte Persönlichkeit. Hatten Sie als Heranwachsender da nicht auch einmal das Bedürfnis, die Waldorfwelt hinter sich zu lassen?

TK | Nein, das war nie der Fall. Mein Elternhaus war in keinster Weise anthroposophisch dogmatisch. Ich bin in einem sehr freiheitlichen, aber spirituell geprägten Elternhaus groß geworden und habe mich nie radikal absetzen müssen, auch wenn ich später manchmal gedacht habe, dass mir diese Erfahrung fehlt.

EK | Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu anthroposophischen Idealen und beruf­lichen Notwendigkeiten beschreiben?

TK | Ich liebe die Menschen, die innerlich von der Anthroposophie ganz durchdrungen sind, aber alles Dogmatische meiden. Ich selbst habe mich innerlich immer auf Rudolf Steiner gegründet gewusst, mich jedoch nie auf Inhalte des Steinerschen Werkes im Sinne von »so ist es richtig« rezepthaft bezogen. Unter der Einschränkung des eigenen Urteils durch unreflektierten Bezug auf Aussagen Steiners habe ich immer gelitten. Ich bemühe mich immer, geisteswissenschaftliche Aussagen als Denkmöglichkeit zu bewegen und im Leben zu prüfen.

EK | Was haben Sie sich für die Zeit »danach« vorgenommen?

TK | Obwohl ich mich aus dem Tagesgeschäft des »Bundes« zurückgezogen habe, stehe ich bereit, einzelne Aufgaben weiterzuführen, wenn das gewünscht wird. Die Geschäftsführung der Waldorf-Stiftung gehört dazu. Zur Zeit kümmere ich mich auch um die Schlichtungsstelle. Die Praxis zeigt, dass es vielfach nicht nur um Konfliktlösung oder Schlichtung geht. Ich erlebe fast täglich, dass ich durch meine Schul- und Lebenserfahrung in vielen Fällen ratsuchenden Eltern und Kollegen im Vorfeld einer Schlichtung im Gespräch helfen kann, Lösungswege zu finden. Gerade Eltern suchen häufig nur ein offenes Ohr für ihre Sorgen und jemanden, der ihnen hilft, eine schwierige Situation zu durchschauen und Ideen zu entwickeln, wie man mit ihr konstruktiv umgehen könnte. Ich bin dankbar, dass mit dem sogenannten Ruhestand sich mir ein Raum eröffnet, frei von täglichen Verpflichtungen für die Waldorfpädagogik und die Anthroposophie tätig zu sein. Das ist spannend und ein Geschenk nach den vielen Jahren der Überfülle an täglicher Arbeit.

Die Fragen stellte Mathias Maurer.