Herr des schwarzen Goldes

Mathias Maurer

»Scha-Ka-Bre-Lö-Ba« lautet die Zauberformel, die Abfall zu Gold macht. Einige Löffel Schafgarbe, Kamille, Brennessel, Löwenzahn und Baldrian verzaubern übelriechenden Kompost in angenehm duftende, schwarz-krümelige Erde. Gelernt hatte das Philip Bishop angeblich in Hogwarts. Wenn er mit Sechstklässlern schmeckend und riechend in ihrer ersten Unterrichtstunde durch den Garten streifte, erzählte er gerne eine kleine Geschichte: »Ich komme aus England, und dort gibt es eine ganz berühmte Schule. Zu dieser Schule musste man mit einem Zug hinfahren, Abfahrt Kings Cross, Gleis 9 3/4. Dann kam man in Hogwarts an. An dieser Schule hatte man auch Gartenbauunterricht bei Professor Sprout. Die hat uns Vieles beigebracht – natürlich auch Zauberei.« Dabei hob er etwas Komposterde auf und erzählte den staunenden Kindern von dem Wunder, dass aus Abfallprodukten schwarzes Gold entsteht: »Ihr müsst euch das einmal vorstellen: In einer Hand voll Erde sind so viele Lebewesen, wie es Menschen auf der Erde gibt.« Manchmal klappe es aber nicht so richtig mit der Zauberformel, denn man fände immer wieder Sachen in der Erde, die da nicht hingehörten, Bonbon- und Kaugummipapiere, Flaschendeckel, Plastiktüten … 

Das Verdauungsorgan des Gartens 

Für Bishop ist der Kompost das Verdauungsorgan des Gartens – alles landet hier. An ihm lasse sich regelrecht eine soziale Archäologie ablesen. Ziel sei es, dass sich der Schulgarten in einem Kreislauf von Wachsen, Pflege, Ernten, Vergehen und Verwerten aus eigener Kraft erhalte – das war sein Begriff von biologisch-dynamisch. Dazu gehört auch der Zaubertrank »Scha-Ka-Bre-Lö-Ba«, der bekanntlich schon den unbesiegbaren gallischen Dorfbewohnern von Armorica übermenschliche Kräfte einflößte. Dieser magische Sud muss nun in Ruhe im Kompost seine Wirkung ent­falten und die Schüler sich gedulden. Erst nach einem Jahr ist die Verrottung soweit fortgeschritten, dass die kostbare Erde als Substrat für die Pflanzenaufzucht ausgebracht werden kann. Und sie schmecken den Unterschied: »Wer einmal eine biologisch-dynamisch angebaute Tomate aus unserem Garten gegessen hat, kauft keine Holland-Tomate mehr«, versicherte er.

Der geschmacklich nachhaltige Ansatz überzeugte die Jury des Wettbewerbs »Natürlich Stuttgart« und das »Grüne Klassenzimmer« erhielt den Preis für die konsequente Anwendung der biologisch-dynamischen Landwirtschaft. Ein anderes Mal wurden Bishop und seine Klassen beim Blumenwettbewerb und für die Bienenhaltung ausge­zeichnet. Wie der Kompost sind die Bienen ein wesentlicher Bestandteil eines lebendigen Gartens. Dabei ging es Bishop nicht nur um eine süße Sinneserfahrung und ums Honigschlecken: »Die Kinder erleben den Zusammenhang zwischen blühender Pflanze, Wasser, Nektar und Pollen«, führt er aus. Es fängt mit den Kindergartenkindern an, die sich vor dem Bienenhaus versammeln und dem Summen lauschen. In der dritten Klasse, in der Handwerksepoche, geht es in die Imkerei. In der sechsten Klasse wird Honig ge­erntet und es werden Wildbienennistkästen gebaut, die die Schüler mit nach Hause nehmen können. Eine Mutprobe für die Elfjährigen: Nur die Schüler, die keine Angst haben, dürfen durch den Schwarm der herausfliegenden Bienen laufen. Denn die Bienen spüren die Angst und werden unruhig. Die achte Klasse schließlich baut Bienenstöcke und Wabenrahmen. 

Zur Belohnung gibt’s Waldorf-Kaugummi 

Und die Kinder bekommen den einzigen Kaugummi, den man an einer Waldorfschule kauen darf: den Waldorf­kaugummi. »Das sind die Deckelchen, die wir von den Waben runtermachen, bevor wir den Honig schleudern«, scherzte Bishop. Doch Spaß beiseite. Die Bienenzucht war ihm ein ernstes Geschäft. Im Wohl und Wehe eines Bienenvolkes spiegele sich seismographisch unser Verhältnis zur natürlichen Umgebung. Menschenverursachter Nahrungsmangel, Pestizide und Krankheiten setzen den Bienen immer mehr zu. »Einmal kamen die Bienen nicht über den Winter«, erzählte Bishop. »Wir haben die Bienen vermisst, als wäre der beste Freund weggegangen. Die Bienen bringen Lebenskraft in den Garten und das spüren die Kinder.« Die Vielfalt an Blumen, Früchten und Gemüse lässt dann deutlich nach. »Wenn die Imkerei ausstirbt, werden wir rund 70 Prozent unserer Nahrungsmittel nicht mehr ernten können«, prophezeite Bishop. 

Ein praktischer Sozialwissenschaftler 

Doch der engagierte Gartenpädagoge kümmerte sich noch um viel mehr: um den Blumenschmuck bei Veranstaltungen, um die Blumentore für die Erstklässler bei der Einschulung, um die Erntedankkränze, die Apfelernte und das Apfelsaftpressen mit den Drittklässlern, um die Ackerbauepoche und das Brotbacken mit den Viertklässlern, um den Sinnesgarten, den Nistkastenbau, das Kerzenziehen und das Schulgelände, nicht zuletzt als Mitglied in der Technischen Konferenz. Philip Bishop wollte eigentlich Sozialwissenschaftler werden. Doch er bevorzugte den unmittelbaren Kontakt zu den Menschen und die praktische Arbeit. So arbeitete er – damals noch in London – lieber in einem sozialen Brennpunkt oder in einem Kinderzirkus, später in einem Camphill-Dorf mit behinderten Kindern. Bishop lebte für die Schule und seinen Garten, sieben Tage die Woche und in den Ferien, »denn Tiere und Pflanzen machen keine Pause«. Und die Schüler respektierten ihn um so mehr, als er sich als Fußballfan outete – natürlich für England – und auf dem Bolzplatz der Schule im Tor den Bällen nachhechtete. Hier schließt sich der Kreis: Er lebte sein soziales Interesse durch die Arbeit mit den Kindern an der Erde aus. Mit seinem frühen Tod geht es einem wie mit den Bienen: Er brachte Lebenskraft in den Garten – und das spürten die Kinder. Die ihn erlebt haben, vermissen ihn – »als wäre der beste Freund gegangen«.