Sono Motors: Die Mutprobe geht weiter

Frank Schmidt

Die Gründer des Unternehmens Sono Motors haben sich Anfang Dezember 2019 zu einem radikalen und mutigen Weg entschlossen. Unter dem Motto #staysono starteten sie eine Crowdfunding-Kampagne, um die für die weitere Entwicklung und Vorbereitung der Serienproduktion des von ihnen entwickelten E-Autos Sion benötigten Finanzmittel von zunächst 50 Millionen Euro einzuwerben. Einerseits war zum damaligen Zeitpunkt klar, dass ohne frisches Geld das Projekt eines alltagstauglichen und mit Solarzellen ausgestatteten fünfsitzigen Elektroautos nicht realisiert werden kann. Andererseits wollten die Gründer auch nicht Geld von Finanzinvestoren um den Preis annehmen, dass ihr nachhaltiges Fahrzeugkonzept anschließend nicht oder nicht konsequent und authentisch realisiert worden wäre.

Da die drei Gründer sich nicht um den Preis persönlichen Reichtums von ihrer Idee verabschieden oder für die Finanzwelt verbiegen wollten, verzichteten sie auf den Verkauf ihrer Unternehmensanteile an Investoren. Und sie verzichteten auf die Gewinnbezugsrechte ihrer Unternehmensanteile, indem sie ankündigten, sie auf die späteren Fahrzeugeigentümer zu übertragen, je nach Höhe der für die Fahrzeugreservierung in Folge der Crowdfunding-Kampagne vorab geleisteten Anzahlung. Mit diesem doppelten Verzicht, der zugleich ein doppeltes Bekenntnis zu der Idee und den Werten ihres Unternehmens darstellt, schufen die drei Gründer die Basis für den Erfolg der Anfang Dezember 2019 gestarteten Crowdfunding-Kampagne. In 30 Tagen sollten bis Ende Dezember 50 Millionen Euro zusammenkommen, so der Plan. Ende Dezember waren es nur rund 32,5 Mio. Euro, was rechtlich und finanziell das Scheitern des Projektes bedeutet hätte, da die Teilnehmer der Crowdfunding-Kampagne sich formell lediglich verpflichtet hatten, bei Erreichen von 50 Mio. Euro den von ihnen im Rahmen der Kampagne zugesicherten Geldbetrag zu überweisen.

Zum Jahresanfang wurden alle bisherigen Teilnehmer der Crowdfunding-Kampagne in einer Umfrage in die Entscheidung einbezogen, ob die Kampagne zum Weiterbestehen von Sono Motors auf 50 Tage verlängert werden sollte. Über 90 Prozent der insgesamt rund 7.500 Menschen, die sich an dieser Abstimmung beteiligten, stimmten für die Fortsetzung und damit auch für die Fortsetzung des Aufbaus von Sono Motors als Unternehmen. Nach 50 Tagen, am 20. Januar 2020, war das Finanzierungsziel bei einem Stand von über 53,3 Mio. Euro, auch dank einer Finanzierungszusage aus dem Kreis der bisherigen Mitgesellschafter von 10 Mio. Euro, mehr als überschritten. Damit ist die Unternehmung Sono Motors noch mehr als bisher auf der Basis von Freiwilligkeit und des gegenseitigen Vertrauens vieler Menschen gegründet. In der Geschichte der deutschen Automobilindustrie käme es einer Revolution gleich, wenn es junge Menschen auf diesem Weg schaffen würden, zusammen mit ihren Unterstützern gemeinschaftlich die Voraussetzungen für ein vernünftiges, bezahlbares und nachhaltiges Elektroauto zu realisieren. Der entscheidende Erfolgsfaktor dieser positiven Dynamik ist nicht Ergebnis eines Marktgeschehens im Sinne klassischer ökonomischer Lehrmeinungen, sondern ein weitreichender Paradigmenwechsel bei den handelnden Personen, die konsequent sozial und ökologisch handeln wollen, und das um jeden Preis – auch um den Preis des Verzichts auf persönliche Gewinnmaximierung, weil deutlich empfunden wird, dass diese mit dem Grundsatz der Nachhaltigkeit nicht in Einklang steht.

Konsumenten können gestalten

Zu Beginn der Kampagne suchten die Gründer und das Team von Sono Motors den direkten Austausch mit den bisherigen Unterstützern und Reservierern. In fünf Großstädten fanden dazu Anfang Dezember 2019 Diskussionsveranstaltungen statt, die zeigten, dass es bei diesem Projekt aus der Sicht vieler Menschen um weit mehr als nur um ein Auto geht. Wie wollen wir in Zukunft leben und arbeiten? Solche und ähnliche Fragen bewegen und motivieren nicht nur die Mitarbeiter im Team von Sono Motors. Auch bei den Unterstützern und Reservierern wurde deutlich, dass die Bereitschaft groß ist, sich für einen gesellschaftlichen und ökonomischen Wandel einzusetzen. Und es zeigte sich, dass viele Menschen bereit sind, das Risiko zu teilen und mitzutragen – in der Überzeugung und Hoffnung, später dann auch als Eigentümer des Sion den Erfolg dieser Kampagne und das so entstandene Fahrzeug teilen zu können.

Wenn es gut geht, wird 2022 mit der Auslieferung des Sion begonnen. Mit mehr als 10.000 Mitgliedern hat die Sono Motors-Community schon ziemlich viel erreicht, ist aber noch lange nicht am Ziel. Bis zum geplanten Produktionsstart müssen noch weitere Mittel eingeworben werden. Wird es gelingen, 20.000 bis 30.000 Menschen zu finden, die dieser Idee und dem Team vertrauen? Sollte dieses Projekt und die Mutprobe von Sono Motors nicht gelingen, könnte man es als das Scheitern eines Unternehmens betrachten und den Unternehmern dafür die Schuld geben. Man könnte aber auch zu dem Ergebnis kommen, dass es die Konsumenten nicht in ausreichendem Maß ermöglicht haben, durch ihr Engagement in Form von Vorauszahlungen dieses Unternehmen entstehen zu lassen. Denn dort, wo die Menschen heute einkaufen, bestellen und anzahlen, entstehen die wirtschaftlichen Produktionsmöglichkeiten von morgen. Und deshalb ist es auch ein entscheidender Beitrag für einen nachhaltigen ökonomischen und sozialen Wandel, dass wir als Konsumenten unsere Gestaltungskraft und Verantwortung für die Entstehung neuer Produkte und Unternehmen immer wieder neu entdecken und verantwortungsvoll handeln. 

Die Geschichte und die Entwicklung von Sono Motors zeigen uns, dass wir die begründete Hoffnung haben können, dass viele junge Menschen heute mit aller Kraft und Überzeugung daran arbeiten, die Welt zu verändern. Und sie tun dies in der Hoffnung auf unsere Unterstützung, bitten uns und laden uns ein, heute damit anzufangen, mit ihnen gemeinsam die Welt von morgen zu gestalten. Damit kommt eine Nachhaltigkeitspraxis nun auch bei einem Industrieprodukt wie einem Elektroauto und in einem größerem Maßstab zum Ausdruck, die bereits regional in kleinerem Rahmen in der solidarischen Landwirtschaft geübt wird.

Deren Leitmotive sind:

  • Menschlichkeit und Vertrauen, durch Kooperation mit Blick auf den gemeinschaftlichen Gewinn und das Gemeinwohl.
  • Teilen und Verschenken, weil es zum weiteren Verlust unserer Lebensgrundlagen führen würde, wenn wir nicht im Wirtschaftszusammenhang das Teilen und auch das Verzichten lernen – und dabei entdecken, was wir dadurch erst gewinnen.
  • Mut und Bereitschaft, alte Sicherheiten und Normen in Frage zu stellen und nach den eigenen Werten und Überzeugungen zu handeln, ganz gleich, ob diese von Finanz- und Politik-Eliten geteilt werden oder nicht.
  • Wirtschaftliche und rechtliche Eigentumsverhältnisse werden nicht als Machtinstrumente eingesetzt, sondern aus freien Stücken als soziales Gestaltungspotenzial.

Diese Leitmotive beinhalten im Kern den Paradigmenwechsel, der im Kontext des Wirtschaftslebens notwendig ist, damit wir als Menschen im Einklang mit der uns umgebenden Umwelt für uns und künftige Generationen die Lebensgrundlagen bewahren und weiterentwickeln können.

Zum Autor: Frank Schmidt ist Ökonom und Geschäftsführer des Waldorfschul- und Kindergartenvereins Darmstadt e.V.

Siehe auch: Den Wandel muss man tun