Vorwärts zur Quelle

Mathias Maurer

Lena Glemser ist 13 Jahre alt. Zur Zeit steht die Achtklassen­jahresarbeit auf dem Programm. Während andere noch ans Chillen denken, ruft Lena in Uganda an und stellt Gaby Kisitu vom St. Moses Children’s Care Centre in Njeru, 80 Kilometer östlich von Kampala, ihr Projekt vor. Lena möchte für St. Moses, eine christliche Organisation, die sich um ausgesetzte und misshandelte Kinder und Aidswaisen kümmert, Spendengelder eintreiben. Dort erhalten die Kinder eine schulische Ausbildung, leben in »Familien« und werden medizinisch versorgt. Es werden dringend eine neue Latrine, Schulkleidung und Matratzen benötigt. Und ein Zaun, um die schlafenden Kinder nachts vor Entführungen zu schützen, die sie einem grausamen Schicksal als Kindersoldaten oder »Kinderopfergabe« ausliefern.

Weltkindertag in Darmstadt. Mitten unter den Ständen der großen bekannten Wohlfahrtsverbände steht Lena mit ihrer Sammelbüchse. Sie hat von der Stadtverwaltung eine Ausnahmegenehmigung bekommen. Hinter ihr Plakatwände mit Informationen über St. Moses. Die Ständer von der Schule, die Stühle vom Kindergarten, die Tische von der Oma geliehen. Kinder malen Mandalas aus. In vier Wochen hat Lena 1.500 Euro gesammelt. Bis März 2013, wenn sie ihre Arbeit präsentieren wird, wünscht sie sich, dass sich dieser Betrag verdoppelt hat. Sie will ihn persönlich in Njeru überreichen. Ihr ist bewusst, dass der teure Flug in keinem Verhältnis zu dem steht, was man Gutes in St. Moses mit dem Geld bewirken könnte. Deshalb versucht sie ihre Eltern zu überreden, die Reise aus der Familienkasse zu finanzieren. Als Kind war Lena mehrfach in Ägypten. Abseits der Touristenpfade von Luxor begegneten ihr bittere Armut, bettelnde Kinder, Müllberge. Sie fuhr auf dem Nil, ritt auf Kamelen, übernachtete mit ihren Eltern bei Beduinen, freundete sich mit deren Kindern an, schenkte ihnen Luftballons und Malstifte und erlebte ihre Gastfreundschaft. Sie schrieb Tagebuch. Mit der Jahresarbeit werden diese Erinnerungen wieder wach in ihr.

Ihre Eltern unterstützen sie bei ihrem Achtklassprojekt und geben Tipps. Ihr Vater kennt eine professionelle Fundraiserin. Lena ruft sie sofort an und hat zwei Tage später einen Termin mit ihr. Auch Lenas Klassenlehrerin Ulla Hanel engagiert sich seit längerem in Uganda. Ihre Klasse hat eine Patenklasse an der Waldorfschule St. Peter in Seguku. Alles scheint zu stimmen.

Doch Lena zweifelt, ein konkretes Projekt fehlt: »Das schaffe ich nie im Leben.« Der entscheidende Hinweis kommt von der Mutter: Ein Waisenhaus in Afrika. Dort haben über 15 Millionen Kinder ihre Eltern durch Aids verloren – eine unvorstellbare Zahl für Lena. Jetzt ist das Ziel klar: »Ich möchte helfen, dass Kinder, die keine Mama und keinen Papa mehr haben, eine gute Zukunftsperspektive haben.« Tina, eine Freundin ihrer Mutter, arbeitete als Volonteer in St. Moses. Lena recherchiert im Internet und ruft in Njeru an …

Lena sammelt, wo sie kann. Circus Waldoni von der Darmstädter Waldorfschule hat große Vorstellung. Klassenkameraden helfen. Lena hat keine Scheu: Auch probende Sing­kreise oder tagende Sicherheitsfachleute werden um Spenden gebeten. Als nächstes ist sie auf dem Martinsmarkt der Schule und auf den Adventsbazaren der Christengemeinschaft präsent. Als Nächstes schwebt ihr ein Großevent in dem Darmstädter Kulturzentrum »Centralstation« mit Musik, Trommeln und Tanz vor. Lena kam auf die Idee, weil sie früher Capoeira tanzte und jetzt HipHop. Die Saalmiete ist hoch, vielleicht unterstützen sie die ansässigen Software-AG oder Merck?

In St. Moses werden nicht nur über 250 Waisenkinder im Alter von drei bis 18 Jahren betreut und beschult, die teilweise auch im Internat wohnen. Gaby Kisitu, ehemalige Kindergärtnerin und Hortnerin aus Deutschland, und Lillian Nambi, Entwicklungshelferin aus Uganda, fördern darüber hinaus über 30 Selbsthilfegruppen in der Umgebung des Centers durch Beratung, Mikrokredite und Familienförderungsprogramme, finanzieren Studien ehemaliger Heimbewohner, sichern die Wiedereingliederung der Absolventen in ihre ehemalige Dorfgemeinschaft. Insgesamt profitieren von diesem Einsatz knapp 2.500 Menschen, davon 2.000 Kinder. Die Landwirtschaft mit Viehhaltung befindet sich im Aufbau und wirft langsam mehr ab, als der Eigenbedarf verbraucht. Eine Schneiderei, eine Weberei und ein Handwerksladen, in dem Schmuck, Stoffe und Kleider verkauft werden, kamen hinzu.

Der Förderbereich für schwer traumatisierte und lernschwache Kinder befinden sich ebenfalls im Aufbau. St. Moses erhält Zulauf von Jugendlichen aus aller Welt, die hier ihr Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren. Lena ist mit ihrem Projekt an der Quelle angekommen: Der Nil, der sie schon in der Kindheit in Ägypten trug, entspringt bei Njeru in Uganda. Sie sagt: »Als Kind habe ich mich gefragt, wieso wir hierher in den Urlaub gefahren sind. Jetzt weiß ich es.«

Kontakt: Lena Glemser, Postbank Hamburg, BLZ 20010020, Konto: 555990201
E-Mail: lelivy@web.de | Link: www.stmosesccc.org | Webseite von Lena Glemser