Zwischen Himmel und Erde

Der neue Film des Schweizer Regisseurs Christian Labhart »Zwischen Himmel und Erde« schildert die Lebenswirklichkeit von Menschen, die der Anthroposophie verbunden sind.

Man trifft sie auf der ganzen Welt, in der Pädagogik, Medizin, Landwirtschaft und Kunst, in Ländern wie Ägypten, Deutschland und der Schweiz. Der Film, der Ende Januar bei den Solothurner Filmtagen uraufgeführt wurde, porträtiert auch Susanne Wende. Als Kind war sie an der Waldorfschule, wie sie sagt, nicht immer glücklich. Trotzdem unterrichtet sie seit mehr als zehn Jahren  an der Schule in Kreuzlingen als Klassenlehrerin.

Erziehungskunst | Frau Wende, war es schwierig für Sie, an einem Dokumentarfilm über Anthroposophie mitzuwirken?

Susanne Wende | Ich habe lange mit mir gerungen, das Kollegium und auch die Elternschaft meiner Klasse befragt, was sie davon halten würden, an einem Dokumentarfilm zum Thema Anthroposophie teilzunehmen. Nun, ich habe mich aus verschiedenen Gründen dafür entschieden und es war ein besonderes, sehr klärendes und bereicherndes Erlebnis für mich.

EZ | Wie haben die Kinder das Vorhaben aufgenommen?

SW | Wir waren alle aufgeregt, die Kinder und ich, ich vermutlich am meisten. Die Kinder haben mich eher beruhigt: »Frau Wende, wir machen das schon!«, fanden sie. Nach mehreren Vorgesprächen kam dann das Kamerateam, mit allem, was dazu gehört, zu uns ins Klassenzimmer. Erst war es aufregend, doch erstaunlich schnell hatten wir uns an das puschelige Mikrofon, die Kamera und überhaupt an die fremden Menschen in unserem Klassenzimmer gewöhnt und alles lief  – fast – wie immer. Als wir das Kamerateam auf unserer Wanderung durch die Alpen trafen, war es, als träfen sich alte Bekannte.

EZ | Der Film will ja als Dokumentarfilm Authentizität vermitteln. Ist ihm das Ihrer Meinung nach gelungen?

SW | Alles, was im Film zu sehen ist, sind Momentaufnahmen. Natürlich habe ich mich sehr mit den Fragestellungen zum Thema Anthroposophie beschäftigt. Doch ist es etwas anderes, tatsächlich darüber zu sprechen, besonders nach einem langen Schultag oder auf einer Wanderung, die sehr viel Präsenz von mir fordert.

Was in dem Film zu sehen ist, ist ja nicht einstudiert, es sind Alltagssituationen, spontane Reaktionen; das ist schon etwas Besonderes. Alles, was zu sehen ist, sind einmalige Situationen, sie sind weder übertragbar noch verallgemeinerbar. Sichtbar wird eher ein kaleidoskopähnliches Bild. Das ist das Besondere, aber auch der enge Rahmen eines Dokumentarfilms.

EZ | Wie war es für Sie persönlich, mitzuwirken?

SW | Ich stehe als Einzelpersönlichkeit, als Susanne Wende an diesen zwei Tagen da, an denen uns das Filmteam begleitet hat. Für mich ist wichtig, dass das auch so gesehen wird. Jeder andere Kollege würde es vielleicht ganz anders machen. Ich stehe nicht repräsentativ für die Steiner- und Waldorfschullehrer.

EZ | Wie reagierten die Kinder auf das Filmteam?

SW | Den Kindern hat es Spaß gemacht in so einer Situation dabei zu sein. Manchmal hat es sie auch angestrengt, denn wenn sie zu leise gesprochen haben, oder wir bei unserer Wanderung doch einen anderen Weg gegangen sind, mussten wir das Ganze ja noch mal wiederholen … Insgesamt war es für die Schüler ein positives Erlebnis, und natürlich fragen sie immer wieder nach, wie es nun weiter geht, wann der Film kommt. Sie sind sehr interessiert daran, was daraus geworden ist.

EZ | Der Film thematisiert ja auch Ihr Verhältnis zur Anthroposophie. Können Sie dazu etwas sagen?

SW | Wichtig ist für mich, dass ich frei bleiben kann in dem, was ich tue. Ich möchte selbst erfahren, wie sich zum Beispiel die Entwicklung der verschiedenen Wesensglieder bei den Kindern vollzieht. Durch meine Arbeit kann ich empirisch forschen, meinen Blick, mein Gefühl und meinen Verstand schärfen. Mit meinen Kolleginnen und Kollegen kann ich mich austauschen. Das finde ich großartig. Dafür bin ich so sehr dankbar!

EZ | Gehört die Anthroposophie der Vergangenheit oder der Zukunft?

SW | Für mich hat die Anthroposophie natürlich eine Zukunft. Ich glaube allerdings nicht, dass sie eine Massenbewegung wird – sicher nicht, aber das finde ich auch nicht wichtig. Die Anthroposophie bildet bei nicht wenigen Menschen den Hintergrund ihres Lebens und damit fließt sie auch in unsere Gesellschaft ein, doch sicherlich nicht lauthals und propagandistisch. Für mich muss das auch nicht so sein. Es befremdet mich allerdings, wenn sich Menschen dieser ganzen Bewegung gegenüber, die ich so positiv erlebe, ausgrenzend und verachtend verhalten. Worin liegt das begründet?

EZ | Welche Bedeutung hat die Anthroposophie für Ihre pädagogische Arbeit?

SW | Ich möchte mit meiner Arbeit im Sinne der Anthroposophie dazu beitragen, dass heranwachsende Kinder zu gesunden, lebensfrohen, kräftigen Erwachsenen heranreifen. Für mich ist die Menschenkunde Rudolf Steiners eine große Quelle der Inspiration, und ich wollte sie nicht missen. Über Steiners großes Gesamtwerk kann ich mir kein Urteil erlauben, da ich nur fragmentarisch Einblick habe. Ich möchte auch nicht sagen, dass ich allem, was er gesagt oder geschrieben hat, zustimme, ich kenne ja nicht alles! Es gibt sicher Aspekte dieses Werkes, die ich nicht verstehe.

EZ | Was glauben Sie, kann dieser Film erreichen?

SW | Ich hoffe, dass der Film als bewegliches Bild verstanden wird, als Einblick in verschiedenste Situationen, repräsentiert durch sehr unterschiedliche Menschen, von denen ein jeder in einem anderen Zusammenhang steht. Ich hoffe, dass die Zuschauer dem Film mit Offenheit begegnen. Ich hoffe, dass er aus der Enge in die Weite führt, in die Weite, wo alles möglich ist, möglich sein darf.

Susanne Wende wurde als zweites von fünf Kindern 1972 in Nordrhein-Westfalen geboren. Sie besuchte die Waldorfschule und studierte Lehramt für die Primarstufe. Nach dem ersten Staatsexamen wollte sie etwas mehr über ihre eigene Schulbiografie und die Hintergründe der Waldorfschule erfahren. Durch den Besuch an der Freien Hochschule für Anthroposophische Pädagogik in Mannheim konnte sie das Unverstandene besser nachvollziehen und in ein neues Verhältnis zu sich selbst stellen, wie sie sagt. Heute arbeitet sie als Klassenlehrerin an der Rudolf Steiner Schule Kreuzlingen am Bodensee. »Die Arbeit mit den Kindern macht mir immer mehr Freude, da die Erfahrung wächst. Es kostet aber auch viel Kraft, da ein hohes Maß an Kreativität, Flexibilität und Sozialkompetenz im Umgang mit Kindern, Eltern und Kollegen nötig ist«.

Film: Verleih Schweiz Look Now Zürich, Start: 3. Februar 2010, Verleih Deutschland Mindjazz Pictures Köln, Start: 4. März 2010, 82 Min. Die Website zum Film.