Ein Musikprojekt endet in der Stille. Neue Perspektiven für den Orchester-Unterricht an der Waldorfschule

Friederike Kienle

An der Waldorfschule Uhlandshöhe waren die idealen Voraussetzungen für eine derartige Zusammenarbeit gegeben, da die klassische Musik durch die ganze Schulzeit hindurch gepflegt und das Zusammenspiel in Klassenorchestern von Anfang an geschult werden. Musiklehrerin Birgit Pfab war eine begeisterte Partnerin, mit deren Hilfe das Projekt erfolgversprechend angegangen werden konnte. Wir starteten mit viel Enthusiasmus im September 2019 ins neue Schuljahr. Wir wollten ein gemeinsames Konzert mit Kindern und professionellen Orchestermusikern erarbeiten. Als Musikstück eignete sich dafür die Peer-Gynt-Suite von Edvard Grieg, die eine zusammenhängende Erzählung bildet. Jedes Klassenorchester bekam zwei bis drei Stücke zu spielen. Die Philharmoniker sollten an mehreren Proben als Dozenten teilnehmen, im Konzert in den Klassenorchestern selbst mitspielen und uns klanglich kräftig verstärken. Mit dem Oberstufenorchester wollten wir darüber hinaus eine Jahresarbeit begleiten: Mendelssohns Violinkonzert e-moll.

Das Projekt wurde offiziell mit einem schulinternen Konzert von den Philharmonikern für die beteiligten Schüler im Großen Festsaal eröffnet. Wir spielten ein wunderschönes Programm mit einer Ouvertüre von Rossini, einer Pizzicato-Polka von Britten und einem Bläserquintett, komponiert vom Fagottisten Frank Lehmann. Ich dirigierte und moderierte das Konzert und die Musiker stellten ihre Instrumente phantasievoll und spannend vor. Es war ein gelungenes, schönes Konzert und ein enthusiastische Start. Beide Seiten hatten sich kennen gelernt, die Proben konnten beginnen.

Die Klassenorchester der Mittelstufe

Ab November ging es in die gemeinsame Probenphase. Die Proben mit den Klassenorchestern machten von Anfang an großen Spaß. Die Kinder waren mit Feuereifer dabei. Da gab es so viel zu ordnen, zu sortieren, zu lernen, zu hören ... die Probenzeit verging wie im Fluge.

Beim Musizieren werden viele Bereiche gleichzeitig geschult: das eigene Spiel, das Zusammenspiel mit den anderen, das Zuhören, das Integrieren der eigenen Stimme in den Klang der anderen, Rhythmus, Harmonie, Phrasierung, Artikulation, Intonation ... es gilt immer, die richtige Balance zu halten zwischen dem Fokus auf sich selbst und dem Ganzen. Das bedeutet, sich sowohl auf die eigene Stimme zu konzentrieren und diese sauber und pünktlich zu spielen, als auch gleichzeitig mit dem Bewusstsein bei den anderen zu sein, damit die eigene Stimme in Harmonie mit den anderen Instrumenten erklingt. Das braucht sehr viel Disziplin und auch Geduld.

Wir probten durchweg mit viel Energie und Konzentration und am Ende der Probe klappte es oft wie am Schnürchen. Das war wirklich beeindruckend.

Corona-Shutdown

Anfang März 2020 waren wir Lehrer zunehmend besorgt über die Situation der anrollenden Corona-Welle. Dann fand unsere letzte gemeinsame Probe mit der Klasse 6A und nachmittags mit dem Oberstufenorchester und den Philharmonikern statt. Der Schule und den Projektleitern war bald klar: Es wird keine Konzerte geben. Kurz darauf wurde die Schule geschlossen – wir konnten uns nicht einmal voneinander verabschieden. Die Musik verebbte in der Stille – ein schmerzliches Erlebnis, da wir alle ein ganzes Jahr Vorbereitung und Arbeit investiert hatten.

Wie geht es weiter?

Inzwischen ist deutlich geworden, dass die Schulen in diesem Schuljahr den Musikunterricht nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen durchführen können. Leider können wir an den oft sinnlos erscheinenden Verordnungen der Regierung nichts ändern und so ist dies vielleicht eine Gelegenheit, sich grundlegende Fragen zum Musikunterricht zu stellen, dringende Veränderungen durchzuführen und Ersatzmodelle auszuprobieren.

Als ehemalige Waldorfschülerin, passionierte Musikpädagogin, Cellolehrerin und langjährige Jugendorchester-Leiterin habe ich international mit Kindern und Jugendlichen auf verschiedenen Niveaus zusammen arbeiten dürfen. Schier unglaubliche Höchstleistungen können Kinder und Jugendliche fast mühelos erbringen, wenn man ihren Enthusiasmus weckt, sie packt und fordert!

Jedoch müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden, damit die Musik wirklich pädagogischen Wert hat. Kaum ein Unterricht ist so sensibel, zerstört zu werden, wie der Musikunterricht, da er nur aus der Stille und der gemeinsamen Disziplin des Zuhörens heraus entstehen kann. – Wie könnte der Orchesterunterricht interessanter und qualitativ noch hochwertiger gestaltet werden?

Ein neues Modell für die Mittelstufe

Alle Kinder sollten Zugang zum Musikunterricht haben und wöchentlich aktiv musizieren, damit sie sich in der Sprache der Musik ausdrücken lernen. Statt des wöchentlichen Klassenorchester-Unterrichts, der nur gut funktioniert, wenn alle ungefähr die gleiche Einstellung haben und das gleiche Niveau, würde ich den Musikunterricht als Wahlfach anbieten, das ein wesentlich größeres Spektrum an Aktivitäten abdeckt. Man könnte zwei Stunden pro Woche für die ganze Mittelstufe (5.-8. Klasse) für den Musikunterricht blockieren und klassenübergreifende Gruppen anbieten, in denen jeder gemäß seinen Interessen frei wählen kann. Man könnte verschiedene Gruppen anbieten, wie Orchester, Chor, Bläser-, Flöten-, Cello-, Percussion-Ensembles, Band oder sogar Kammermusik. Aus diesem reichen Angebot kann dann ausgewählt werden und jeder findet bestimmt etwas nach seinem Geschmack.

Man mag einwenden, dass es nicht so viele Lehrer gibt, die diese Gruppen gleichzeitig betreuen könnten. Jedoch gibt es im Bekanntenkreis der Schule genug qualifizierte Musiker, die man extern engagieren könnte oder auch Schüler der Oberstufe, die eine Gruppenleiter-Ausbildung an der Landesakademie erwerben können. Man muss wohl vieles einfach mal ausprobieren.

Durch kleinere Gruppen, bessere Betreuung und größeres Angebot werden die Schüler besser gefördert und bleiben durchgehend aktiv. Wenn in der Mittelstufe mehr Begeisterung und Freude am Musizieren entsteht und durch intensiveres Coaching auch bessere Fortschritte erzielt werden, dann kommt vielleicht die von mir so heiß ersehnte Begeisterung für das leider (oft zu Recht) sehr unpopuläre Fach Musik auf. Individuelle Fördermöglichkeiten führen zu größeren Fortschritten und Freude, weil man individuell auf die Schüler eingehen kann. Dies kommt allen zugute, vor allem auch dem Oberstufenorchester und -chor.

Musik ist kein Fach zum Abhängen! Es fordert den ganzen Menschen in seiner ganzen Komplexität. Daher muss es auch ernst genommen und gerade in diesem Fach eine noch bessere, lernfördernde Struktur geschaffen werden.

Zur Autorin: Friederike Kienle ist ehemalige Schülerin der Waldorfschule Uhlandshöhe. Nach dem Abitur studierte sie Cello in Hannover, Mailand und Trossingen und ging für zehn Jahre nach Japan, wo sie an der Hokkaido University of Education Cello und Kammermusik lehrte. In Japan begann sie mit dem Dirigier-Studium und gründete die Young Hokkaido Philharmony. Um ihre Dirigier-Ausbildung zu vervollständigen, kehrte sie nach Deutschland zurück und absolvierte ihr Master-Studium an der HMDK Stuttgart in der Klasse von Rasmus Baumann. Friederike Kienle ist Mitglied von »balance-Forum für Musik« (Cellolehrerin), Dirigentin des Nürtinger Kammerorchesters und Dirigentin des »ensemble balance«. www.friederike-kienle.com