Eurythmieunterricht als Forschungsobjekt

Michael Werner

Seit 90 Jahren wird Eurythmie in den Waldorfschulen weltweit unterrichtet und trotzdem ist der Wissensstand um ihre wirkliche Bedeutung erschreckend gering. Man sieht an Monatsfeiern gelegentlich eurythmische Beiträge, die zwölften Klassen präsentieren ihre künstlerischen Abschlüsse, aber viel erfährt man darüber nicht. Es ist zwar richtig, dass Waldorfschüler ihren Namen, das Alphabet, Beethoven und Chopin eurythmisch darstellen können, aber über die pädagogischen Inhalte und Ziele dieses speziellen Bewegungsunterrichts gäbe es bedeutend mehr zu sagen.

In dieser Zeitschrift ist schon öfter über den Eurythmieunterricht aus verschiedenen Perspektiven berichtet worden. Jürgen Frank (Hamburg-Bergstedt) schilderte etwas aus der Sicht eines Eurythmielehrers, Erik Dom (Hochschule Stuttgart) aus der Sicht eines Ausbilders, Jutta Rohde-Röh aus Flensburg wurde interviewt und kürzlich schrieb Christian Boettger über »What moves You!«. Empirische Forschung zu diesem Fach wurde bisher nicht betrieben. Seit einigen Jahren wird im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Alanus Hochschule einigen dieser Fragen nachgegangen: Wie steht es denn um die Eurythmiepädagogik an den Waldorfschulen in Deutschland und was ist eigentlich guter Eurythmieunterricht? Durch die Initiative von Stefan Hasler (Fachgebiet Eurythmie) in Zusammenarbeit mit Charlotte Heinritz und später Axel Föller-Mancini und Gisela Beck (Fachbereich Bildungswissenschaften) entstand 2012 an der Alanus Hochschule das erste Projekt zur empirischen Erforschung der Eurythmiepädagogik an Waldorfschulen in Deutschland. Als unterstützender Beirat sind Vertreter der Eurythmieausbildungen aus Stuttgart, Leiden (früher Den Haag) und die Alanus Hochschule Alfter mit von der Partie. Das gesamte Projekt wurde in drei Teilen konzipiert, die jeweils verschiedene Zugänge zur Eurythmiepädagogik erarbeiten. Eine Gruppe von erfahrenen Eurythmiepädagogen aus Berlin, dem Ruhrgebiet, Bonn, Süddeutschland und Hamburg engagieren sich dabei. Sie sollen ihren eigenen Unterricht selbst untersuchen und dadurch einen neuen kreativen Impuls in die eurythmiepädagogische Szene setzen.

Wie entsteht guter Unterricht?

In der ersten Phase bewegten uns die Fragen: »Was konkret mache ich mit dieser spezifischen Klasse?«, »Was ist guter Eurythmieunterricht und wie entsteht er?« Die Antworten wurden individuell und empirisch gesucht, als Methoden wurden dazu das Unterrichtstagebuch, die Hospitation, das Interview und die Intervision eingesetzt. Ziel war es, die vorliegenden pädagogischen Erfahrungen zu sammeln, zugänglich zu machen, nach bestimmten Kriterien zu untersuchen und die Ergebnisse in eine verständliche Sprache zu übersetzen und zu publizieren. Die Ergebnisse der ersten Phase wurden erst einem eurythmischen Fachpublikum im September 2013 im Rahmen eines eurythmiepädagogischen Symposiums in Alfter vorgestellt und 2014 publiziert.

In der zweiten Phase wurde eine etwas größere Anzahl von Eurythmisten in Waldorfschulen in bestimmten Klassenstufen besucht und interviewt. In Zentrum standen dabei Fragen, wie der Eurythmieunterricht die Persönlichkeitsentwicklung und die Eigenständigkeit der Schüler unterstützt. Ein Expertengremium, bestehend aus je einem Erziehungswissenschaftler, Sozialwissenschaftler, Schularzt und einem Heileurythmisten formulierte diese thematische Vorgabe vorab. Es wurde eine bestimmte Eurythmiestunde einer bestimmten Klasse besucht, in einem Interview besprochen und die Beobachtungen vertieft. Das auf diese Weise gesammelte Material wird zur Zeit ausgewertet. Die Ergebnisse werden im September 2015 dem Fachpublikum vorgestellt, diskutiert und anschließend publiziert.

Wann funkt es eigentlich?

Die in den ersten beiden Phasen gewonnenen Einsichten und Forschungstechniken griffen zehn Eurythmiepädagogen in der dritten Phase auf, indem sie diese im eigenen Eurythmieunterricht umsetzten. Zudem überprüften sie konkrete pädagogische Angaben Rudolf Steiners zur Eurythmie auf deren heutige pädagogische Eignung und Wirksamkeit. Von besonderer Bedeutung waren dabei erziehungskünstlerische Momente des Eurythmieunterrichts und wie man diese erfassen und darstellen kann. Wann »funkt« es im Unterricht? Was hilft dabei? Die Ergebnisse der Kollegen wurden ebenfalls dem Fachpublikum auf einem Kolloquium im September 2014 vorgestellt und werden zurzeit schriftlich ausformuliert.

Die beteiligten Eurythmiepädagogen trafen sich regelmäßig, tauschten sich über ihre Forschungserfahrungen aus und unterstützten sich gegenseitig auf diesem Weg, der reichhaltige, fachliche und persönliche Lernschritte ermöglichte. Neue Fragestellungen und Perspektiven taten sich auf, welche die Eurythmiepädagogik befruchten können. Mit der wissenschaftlichen Bearbeitung der Eurythmiepädagogik streben wir einen fachübergreifenden Dialog an, der diesen einzigartigen künstlerischen Impuls für unsere Schul- und Unterrichtskultur lebendig hält.

Zum Autor: Michael Werner ist Eurythmiepädagoge in Hamburg-Bergstedt, Berater und Coach.

Literatur: Stefan Hasler/Charlotte Heinritz: Den eigenen Eurythmie­unterricht untersuchen, Band 1, Edition Waldorf, Stuttgart 2014 | Eurythmisches Gestalten und Persönlichkeitsentwicklung, Band 2, erscheint voraussichtlich im Herbst 2015 | Eurythmische Mittel in der Erziehungskunst, Band 3, erscheint voraussichtlich im Frühjahr 2016

Link: www.eurythmieforschung.de