Die wertende Gegenüberstellung Birnthalers »Kognitive Intelligenz« versus »Emotionale Intelligenz« ist zu einseitig. Vor allem, weil er den Begriff »Intelligenz« nicht deutlich genug definiert. Intelligenz ist nur zu einem Teil das, was ein Intelligenztest misst. Und da gibt es große Unterschiede, welchen Test ein Mensch macht. Es ist richtig, dass den Tests bei Einstellungen und Leistungsbewertungen manchmal zu große Aufmerksamkeit geschenkt wird. Aber auch im amerikanischen Raum – ebenso wie bei uns – spielen sogenannte »social skills« eine immer größere Rolle. Wobei ich nicht der Meinung bin, dass diese in den Regelschulen ausreichend genug gefördert würden.
Birnthaler schreibt, dass es auf der Grundlage von William Stern und seinem Intelligenzquotienten erstmals möglich war, weniger intelligente Kinder auszugliedern. Leider vernachlässigt Birnthaler, dass seit einigen Jahren Bemühungen dahingehend stattfinden, diese nicht mehr zu separieren, sondern ihnen im »normalen« Schulsystem zu helfen. Als Sonderpädagogin in einer integrativ arbeitenden nicht-anthroposophischen Grundschule tue ich genau das. Und auch ich nutze Intelligenztests manchmal als zusätzliches Diagnoseinstrument, wenn ich mehr über einen Schüler erfahren möchte, der im »normalen« Schulalltag Schwierigkeiten hat. Es kann nämlich auch gut sein, dass mir ein Schüler gegenübersitzt, der sich verweigert und infolgedessen keine guten Zensuren erhält, weil ihm der Unterrichtsstoff viel zu langweilig ist, er schlichtweg geistig unterfordert ist!
Leider setzt Birnthaler gute Zensuren dem »intelligent sein« gleich, wenn er schreibt, ein Schüler braucht gute Zensuren und damit eine gute Intelligenz. Dies ist eines der häufigsten Vorurteile hinsichtlich Intelligenz: denn lediglich etwa 15 Prozent der »Einserschüler« sind hochbegabt, erzielen also in einem IQ-Test einen Wert von über 130. Die meisten der sehr leistungsstarken Schüler haben einen IQ-Durchschnitt von etwa 115 (wobei 100 der Wert ist, der innerhalb der Bevölkerung am häufigsten vorkommt). Was Schulen leider häufig verlangen, sind Leistungen, die auf Anpassung, Auswendiglernen und Reproduzieren beruhen. Dies sind aber nur teilweise Leistungen, für die man besonders intelligent sein muss. Dafür muss man eher sehr anpassungsbereit und fleißig sein. Da ergibt sich die Frage, woran man »intelligentes« Verhalten wirklich erkennt? Professor Mönks von der Universität Münster hat festgestellt, dass sich Intelligenz nur dann optimal entwickeln kann, wenn hohe kognitive Fähigkeiten auf hohe Motivation und hohe Kreativität stoßen.
Und Gardner, den Birnthaler als Förderer der Emotionalen Intelligenz beschreibt, hat noch viel mehr auf dem Kasten: Er hat acht verschiedene Intelligenzen beschrieben, u.a. die psychomotorische, biologische, mathematische, aber auch die praktische Intelligenz, so dass wirklich jeder Mensch Bereiche findet, in denen er intelligent oder besser gesagt begabt ist.
Ich finde es stets schade, wenn Intelligenz als etwas Schlechtes betrachtet wird oder wenn kognitive Intelligenz als Gegenpol zur emotionalen Intelligenz negativ bewertet wird. Es gibt tatsächlich Kinder, die sehr leicht lernen und im Lesen, Schreiben, Rechnen eine besondere Begabung haben. Das ist für sie nicht immer toll und leicht!
Besonders in der Schule (egal in welcher Schulform) lernen sie nicht unbedingt, dass dies eine Freude ist. In der Regelschule verkümmert ihre Begabung zu häufig aufgrund von Anpassungsmustern. Nicht nur die weniger »Schlauen« werden ausgemustert, häufig auch Kinder mit hohem kognitivem Potenzial. Wenn sie nicht auf Lehrer stoßen, die in ihnen die Kreativität wecken oder fördern, die ihre tollen Ideen nicht durch zu stark vorgegebene Zwänge oder Druck vernichten. Insofern hat gerade die Waldorfpädagogik durch Möglichkeiten der Differenzierung ohne Notendruck eine Chance, auch kognitiv besonders starke Kinder zu fördern.