Humor ist, wenn man's trotzdem macht

Johannes Denger

Beginnen wir, wie es sich gehört, mit einer Definition des Gegenstands. Laut DUDEN ist Humor die »Gabe eines Menschen, der Unzulänglichkeit der Welt und des Menschen, den Schwierigkeiten und Missgeschicken des Alltags mit heiterer Gelassenheit zu begegnen«. Schon an dieser Stelle wird deutlich, warum jede Lehrerin, jeder Lehrer und auch Schülerinnen und Schüler sozusagen existenziell auf Humor angewiesen sind. Das Wort »humores« (Feuchtigkeiten) geht zurück auf die mittelalterliche Säfte- und Temperamentslehre. Umor (lat.); umere »feucht sein«, umidus »feucht« gehört zu einer indogermanischen Wortgruppe, die im Germanischen nur mit »Ochse« (Befeuchter, Besamer) vertreten ist. Und in der Tat hat – etwa in einer Schulklasse oder in einer Konferenz – praktizierter echter Humor eine be­lebende, befruchtende und oft auch be­­­­­freiende Wirkung.

Kontrastierende Komik

Das Komische entspringt, ähnlich wie das Tragische daraus, dass wir einen Konflikt widersprüchlicher Prinzipien wahrnehmen. Die Komik löst diesen Konflikt durch eine übertreibende Kontrastierung auf, die uns lachen lässt. Nehmen wir als Beispiel einen meiner Lieblingswitze von Woody Allen: »Selbstverständlich gibt es das Jenseits. Fragt sich nur, wie weit ist es von der City entfernt und kann man dort duschen?« Hier werden in meisterlicher Verknappung zwei widersprüchliche Prinzipien nebeneinander gestellt. Die Analyse ergibt, dass weder der erste noch der zweite Teil der Aussage witzig ist, sondern ausschließlich deren Verknüpfung. Ähnlich wie der berühmte Morgensternsche Lattenzaun, mit Zwischenraum, hindurchzuschaun, existiert Humor nicht wirklich, ist nicht greifbar, sondern liegt in der Beziehung, also im Da­­­­zwischen. Humor ist und schafft reine Beziehung!

Provozierende Fehlschlüsse steigern den Wissensdrang

Dies gilt sogar für die heute viel gescholtene Ironie. Klar: Menschen, die dauernd alles ironisieren sind Gift für die Erziehung, besonders für die des kleinen Kindes. Wenn der Andere die Ironie nicht verstehen kann, ist sie üble Manipulation und man macht sich auf seine Kosten lustig. Es gibt aber auch die konstruktive Ironie, von der Robert Musil in seinem Roman »Der Mann ohne Eigenschaften« im fragmentarischen Anhang sagt: »Ironie ist: einen Klerikalen so darstellen, dass neben ihm auch ein Bolschewik getroffen ist. Einen Trottel so darstellen, dass der Autor plötzlich fühlt: das bin ich ja zum Teil selbst. Diese Art Ironie – die konstruktive Ironie – ist im heutigen Deutschland ziemlich unbekannt. Es ist der Zusammenhang der Dinge, aus dem sie nackt hervorgeht.«

So kann in der Mittel- und vor allem Oberstufe die so genannte sokratische Ironie ein Vehikel didaktischer Kommunikation sein: »Hier soll durch bewusst falsche oder fragwürdige Wertvorstellungen, logische Fehlschlüsse oder fragende Unwissenheit zu positiver Erkenntnisanstrengung provoziert werden, was die Selbstironisierung des Er­ziehenden mit sich bringt« (BROCKHAUS). Die romantische Ironie schließlich bezeichnet »das Gefühl von dem unauflöslichen Widerstreit des Unbedingten und des Bedingten, der Unmöglichkeit und Notwendigkeit einer vollständigen Mittheilung« (F. Schlegel).

Selbstdistanzierung: Humor ist gesund

Für die psychischen Leiden seiner Patienten spricht Victor Frankl, der berühmte Psychiater und Begründer der Logotherapie, dem Humor eine herausragende Bedeutung zu: »Nichts lässt Patienten so sehr distanzieren wie der Humor. Der Humor würde verdienen, ein Existential genannt zu werden. Nicht anders als die Sorge und die Liebe.« Kierkegaards Umschreibung des Humors zielt deutlich in eine logotherapeutische Richtung. Folgen wir ihm, so können wir Humor verstehen als »das Gewahrwerden eines Eigent­lichen, eines ideellen, human-ethischen, werthaltigen Sinnes in einer uneigentlichen Erscheinungsform. Hieraus entsteht die humoristische Welthaltung, Lächeln, Heiterkeit, Versöhnlichkeit, gelassene Betrachtung menschlicher Schwächen und irdischer Unzulänglichkeiten, Kraft zur Erduldung von Leid und sogar Grauen.«

Die in diesem Abschnitt verwendeten Zitate entstammen alle dem sehr lesenswerten Aufsatz von Andreas Dick­­häuser, Humor im Unterricht (aus: »Existenz und Logos«, Heft 1/2002). Dickhäuser meint: »Wird mit Hilfe des Humors eine Selbstdistanzierung in Gang gesetzt, so kann eine deutlich verbesserte Lern- und Arbeitsatmosphäre aufgebaut werden. Eine solche Atmosphäre weckt, fördert und erhält ... die Lern- und Anstrengungsbereitschaft der Schülerinnen und Schüler und ist bei der Umsetzung der geforderten Lernziele hilfreich. Da ›echter Humor‹ in hohem Maße sozial verbindend wirkt, kann sich zudem langfristig ein Vertrauensverhältnis zwischen Lehrer und Schüler entwickeln, das unter Umständen auch positive Auswirkungen auf das Schüler-Schüler-Verhältnis haben kann.«

Heilpädagogische Tugend Humor

Humor kann aber nicht nur methodisch-didaktisch sinnvoll eingesetzt werden, sondern ist vielmehr eine Lebenshaltung, die Rudolf Steiner dem Heilpädagogen empfiehlt: »Man wird trotz allen möglichen gescheiten Kunstgriffen solche Kinder nicht erziehen können, wenn man nicht den nötigen Lebenshumor hat. Also es wird schon Platz greifen müssen in der anthroposophischen Bewegung, dass man Sinn hat für Beweglichkeit.« Nicht nur hilft der Humor dem Heilpädagogen und Sozialtherapeuten, existenzielle Situationen, mit denen er täglich konfrontiert wird, besser zu verkraften, sondern er ist auch ein exzellentes Kommunikationsmittel, um mit Menschen Kontakt aufzubauen, die nicht über sprachliche Fähigkeiten verfügen. Gerade diese Menschen zeigen beim Humorverständnis oft eine hohe Intelligenz, die sich nur anderweitig nicht äußern kann.

Steiner quälten anthroposophische Zusammenrottungen

Dem Beruf des Lehrers und der Ausgangslage des Unterrichtens eignet ja durchaus eine immanente Komik, besonders dann, wenn man der Meinung ist, Vorbild zu sein. Verstärkt wird diese Grundkomik durch die Bemühungen einer anthroposophischen Pädagogik. »Das Gewahrwerden eines Eigentlichen ... in einer uneigentlichen Erscheinungsform«, als das Kierkegaard den Humor bezeichnet, ist doch das Grundthema sämtlicher bisheriger Erscheinungsformen anthroposophischen Strebens! »Man kriegt manchmal ein bisschen Schmerzen, wenn man in anthroposophische Ansiedlungen oder Zusammenrottungen kommt«, beklagt Rudolf Steiner schon 1924 im Heilpädagogischen Kursus, »die Leute machen ein ›Gesicht bis ans Bauch‹. Sie sind so wenig geneigt, zum Heiterwerden, zum Lachen zu kommen!« Das ist sicher einer der wesentlichen Gründe, warum manche Menschen, die der Anthroposophie sehr nahe stehen, nicht Mitglied der anthroposophischen Gesellschaft werden wollen ... Neben der unübertroffenen Begründung von Groucho Marx natürlich: »Ich würde niemals Mitglied in einem Club werden, der Leute wie mich aufnimmt!«

Humor ist die äußerste Freiheit des Geistes

Köstliche Pointen entstehen auch, wenn man sich dem Humor mit den Mitteln der Gelotologie, der Wissenschaft vom Lachen nähert. Eine besondere Schwierigkeit bei der ethnologischen Forschung ist, dass das Lachen anderer Kulturkreise oft nur in der Kontaktsituation mit Ethno­logen beobachtet werden konnte: Andere Ethnien lachten über die für sie erstaunlichen Verhaltensweisen der Ethnologen. Also beeinflussten Herkunft und Verhalten der Forscher während ihrer Beobachtungen gelegentlich auch schon die Aktionen und Reaktionen der von ihnen observierten Individuen. Wissenschaft ist eben ein ernstes Geschäft!

Aus allen hier nur angerissenen Gesichtspunkten wird deutlich, warum Humor für Erzieher, Lehrer und natürlich auch Schüler im Alltag einer Erziehung zur Freiheit unverzichtbar ist: Humor ist der große Beziehungsstifter! Er lässt Zusammenhänge erkennen, er schafft ein warmes, verstehendes und verzeihendes soziales Klima. Oder mit Christian Morgensterns Worten: »Humor ist die äußerste Freiheit des Geistes!«

Zum Autor:  Johannes Denger ist Heilpädagoge und Waldorflehrer. Er arbeitet als Referent für Bildung, Ethik und Öffentlichkeit im Verband für anthroposophische Heilpädagogik, Sozialtherapie und soziale Arbeit e.V.