Liebe Leserin, lieber Leser!
Es ist paradox: Wir leben heute in allgemein unsicheren Zeiten, was Fragen der Erziehung angeht. Jeder versteht sich und die Kinder anders richtig. Die Ratgeberliteratur für Erwachsenenlernen boomt, nicht minder die für die Erziehung der Kinder. Das Ergebnis: Unsichere Eltern und Erzieher verunsichern unsere Kinder nur noch mehr.
In der Praxis erleben wir das Gegenteil: Wir begegnen uns – und zwar je höher das (erzieherische) Amt so, als ob ein Erwachsener sich eigentlich nicht mehr zu erziehen bräuchte. Er ist fertig, er hat ein festes Urteil, er weiß, was zu tun ist. Allein seine Biologie mag ihn das Gegenteil lehren. Scheitern, Fehler
machen, Unsicherheit zeigen ist blamabel oder lustig. Es scheint keine positive Fehlerkultur zu geben, in der es dazu gehört, vor sich und anderen zu versagen, daraus zu lernen und gestärkt daraus hervorzugehen. Das gestehen wir nur noch dem kleinen Kind zu. Es darf tausend Mal vor aller Augen hinfallen, weil wir wissen: Es wird gehen. Je älter wir werden, das beginnt schon in der Schule, desto ungeduldiger werden wir und die Methoden werden entsprechend rigider. Null Punkte beweisen: Der hat nichts gelernt! Beim erwachsenen Menschen ist es dann nur noch peinlich. Obwohl wir wissen: Fehlermachen gehört in jedem Lebensalter zum Lernen dazu, nur die Aufgaben haben sich verändert.
Mit Sicherheit sind die Erziehungsprobleme, die wir mit unseren Kindern haben, Spiegel unserer Erziehungsfehler. Sei es in der Familie, in Kindergarten und Schule oder im sozialen Umfeld: Kinder ahmen diese Fehler und Mängel nach. Im Jugendalter ist dann der Freundeskreis der dominierende Erzieher. Auch hier wirken die Vorbilder – schlechte und gute. Wir gehen davon aus, dass ein Mensch im Erwachsenenalter dann seine Erziehung selbst in die Hand nimmt. Doch können wir erwarten, dass er alleine mit seinen Fehlern klar kommt?
Jeder kennt seine Fehler, erinnert sich an Situationen, in denen er wider besseren Wissens oder Gewissens etwas besser hätte machen können oder schlicht versagt hat. Jeder kennt seine Schattenseiten. Die übliche Bewältigungsstrategie ist Stillschweigen oder Verdrängung. Sie führt meist dazu, dass der »innere« Erziehungsnotstand wächst. Kommt man aus dieser Spur nicht heraus, weil sie zu stark in die eigene Persönlichkeitsstruktur eingeschrieben ist oder als ein zwingendes seelisches Muster wirkt, braucht es Menschen, die helfen. Diese zu fragen und daraus zu lernen, wäre der beste Dienst an den Kindern. Denn ein Mensch, zumal ein erziehen wollender Mensch, wirkt nicht in erster Linie durch seine Tat oder Rede auf die Seele des Kindes, sondern unmittelbar durch sein Sein. Es fragt: Bist Du auch ein Fehlender und Lernender?
Aus der Redaktion grüßt
Mathias Maurer