Der letzte Dalai Lama?

Ute Hallaschka

Vorsichtig, aber beharrlich stellen die Filmemacher mit diversen Interviewpartnern in Frage, was eigentlich nicht zu bezweifeln ist. Schließlich hat der Dalai Lama selbst offiziell verkündet, dass es keine zukünftige Reinkarnation Seiner Heiligkeit mehr geben wird. Damit endet ein mehr als tausendjähriges spirituelles Kontinuum.

Lemle, der Autor, Regisseur und Produzent des Films, begleitet den 14. Dalai Lama seit Jahrzehnten mit der Kamera, er hat ihn bereits 1991 in einem Dokumentarfilm porträtiert. Der aktuelle Film verfolgt zwei Spuren. Einmal die Frage der beendeten Reinkarnationsfolge – hierin wird dem Zuschauer der Gedanke nahegelegt, dass es sich um eine politische Maßnahme handeln könnte, um der Fremdbestimmung durch die chinesische Besatzungsmacht vorzubeugen. Diese hat per Gesetz deklariert, dass es keine tibetische spirituelle Autorität ohne ihre Mitbestimmung geben wird. Man befürchtet also einen chinesischen Marionetten-Dalai Lama.

Dazu äußert sich der jetzige spirituelle Führer ganz eindeutig – er wolle als einfacher Mensch dort wiedergeboren werden, wo er praktisch zur Lösung von Problemen beitragen könne. Ebenso eindeutig ist sein Kommentar zur Selbstverbrennung. Die dazu gezeigten Bilder sind furchtbar. Rund 150 meist junge Tibeter haben sich inzwischen selbst umgebracht, um als menschliche Fackeln im Widerstand gegen die Besetzung Tibets zu protestieren.

Schon sich die Finger zu verbrennen, sagt der Dalai Lama, sei doch ein nicht gutzuheißender Schmerz, erst recht nicht, dem eigenen Körper solches Leiden zuzufügen. Es scheint weniger politisches Kalkül, die geistige Würde aufzugeben, als sein wirklicher Verzicht auf seine Heiligkeit, um den unlösbaren Konflikt nicht fortzusetzen. Ähnlich wie zwischen Israelis und Palästinensern zeigt sich in der Berufung auf Herkunft und angestammte Rechte der Vergangenheit kein Weg zur Beendigung der Auseinandersetzung. Diese Lösung in der Zukunft und nicht in der Vergangenheit zu suchen, scheint die Inspiration dieser radikalen Geste des Verzichts.

Die zweite Linie, die der Film verfolgt, ist die Vermittlung der Praxis tibetischer Spiritualität mit der Wissenschaft der Neuzeit. Hierin ist der 14. Dalai Lama weltweit ein Brückenbauer. Durch sein Exil kam diese verborgene Spiritualität vom Dach der Welt mitten im gesellschaftlichen Leben des Westens an. Was alle Welt begeistert, ist die wahrnehmbare und unbezwingliche Liebeskraft dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit. Zu vermitteln, wie man durch geistige Übung Mensch werden kann – und in der aktuellen Zeitlage eigentlich nicht mehr sein kann, ohne die Praxis geistiger Vertiefung –, das ist das vordringliche Anliegen des Dalai Lama.

In den diversen Begegnungen und vorgestellten Initiativen bleiben die Streifzüge der Kamera naturgemäß an der medialen Oberfläche. Man erfährt nichts Neues, ob nun bunte Computergrafiken aufploppen, die den wissenschaftlichen Atlas der Emotionen darstellen sollen, oder die pure Ablichtung der feierlichen Verehrungsszenarien in weltweiten Auftritten. Am Ende gibt es noch einmal eine Überraschung. Da erscheint George W. Bush als ein inniger Liebhaber tibetischer Spiritualität. Wer hätte das gedacht? Angesichts des jetzigen amerikanischen Präsidenten wirkt jener geradezu wie ein Feingeist. Auch das ist bemerkenswert im Hinblick auf den eigenen inneren Schauplatz der Verfertigung von Welt- und Menschenbildern. Dazu gibt der Film einiges zu denken.

THE LAST DALAI LAMA? USA 2017, Regie: Mickey Lemle, Sprache: Englisch. Untertitel: Deutsch, FSK: o. Altersbeschränkung, Laufzeit: 82 Min., DVD VÖ: TBA