Der Photograph

Ute Hallaschka

Es gibt im Grunde keine Handlung, nur eine allmählich sich entfaltende Folge von Wirkungen. Sämtliche Figuren sind so eingebettet in die Umstände ihres Schicksals und der Umgebung, dass der persönliche Handlungsspielraum minimal erscheint. So zeigt sich alles Ausdrückliche in diesem Film weniger in Aktionen oder verbal, als vielmehr gestisch. Das macht ihn zugleich extrem körperlich auf der einen Seite, auf der anderen leicht und zart. Alles bleibt in der Schwebe, der Andeutung, vieles bleibt der Phantasie des  Zuschauers und seiner Entscheidung überlassen. Man erwartet dennoch aus den eigenen Sehgewohnheiten Wendungen in der Geschichte, die nicht eintreten. Kaum scheint eine Situation sich zuzuspitzen, schon löst sie sich wieder ins Periphere.

Rafi (Nawazuddin Siddiqui) ist Straßenfotograf an Mumbais berühmtestem Wahrzeichen, dem Gate of India. Mit seinem Verdienst unterstützt er seine Großmutter, die auf dem Land lebt. Sie bedrängt ihn unablässig, endlich zu heiraten, schließlich schickt er ihr das Foto einer Wildfremden, die er als seine Verlobte ausgibt. Die Großmutter reist an, um die Braut kennenzulernen. Rafi bleiben nur ein paar Tage, um das Mädchen zu finden. Miloni (Sanya Malhotra) ist Studentin und lebt in einer völlig anderen Sphäre als der mittellose Rafi.

Was wir in diesem Film sehen, ist das Gegenteil von Bollywood, der Versuch, dem europäischen Zuschauer Indien näher zu bringen. Zu verstehen, wie es sich anfühlt, zugleich in einer technologisch hochmodernen Welt und einem uralten rituellen Gesellschaftssystem zu leben. Das brachiale soziale Elend des Kastenwesens, die traditionellen Rollenbilder von Mann und Frau und die daraus resultierende Resignation ist das eine. Doch das andere ist eine so feinsinnige Kultur gegenseitiger Wahrnehmungskraft, dass man staunt über den Zauber Indiens.

Photograph – Ein Foto verändert ihr Leben für immer. Romanze. 109 Min. Indien, Deutschland, USA 2019. FSK 0