Morgen ist Jetzt

Ute Hallaschka

Der französische Aktivist und die Schauspielerin (Inglourious Basterds) lasen eine Studie in der Zeitschrift »Nature«, die den ökologischen Kollaps der Erde und den Zusammenbruch der globalen Zivilisation, in den nächsten 40 Jahren als sehr wahrscheinlich beschreibt. Als erstes dachten beide an ihre Kinder. An die unbegreifliche Vorstellung, sich damit abzufinden, dass wir den Kindern eine verwüstete Erde überlassen, auf der sie in einer Art dritten Weltkrieg leben – nur weil wir jetzt so handeln, wie wir es tun. Das kann doch nicht wahr sein! Der nächste Gedanke ist simpel: Dann müssen wir anders handeln. Das taten sie. Sie trommelten Freunde und Finanzierung zusammen und starteten das Filmprojekt. Auf der Suche nach konkreten Ansätzen und Wegen, die Situation zu ändern. Mit dem »Cesar«, als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet, hat »Tommorow« über eine Million Besucher in Frankreich, Belgien und der Schweiz begeistert.

Es ist eine Weltreise. In zehn Ländern besucht und dokumentiert das Filmteam ganz normale Leute, Experten, Initiativen und Projekte, die ökologische, wirtschaftliche und politische Alternativen lebenspraktisch umsetzen. Das besondere dieses Films: Er ist vollkommen ideologiefrei. Nicht einer der Porträtierten bemüht irgendeine Weltanschauung oder theoretische Faktenhuberei, um seine Handlungsimpulse legitimieren. Sie sprechen einfach von Herzen darüber, was sie bewegt. In ihrem jeweiligen Lebensraum, an der Arbeit vorgestellt, gelingt es den Filmemachern sowohl die Begeisterung einzufangen, als auch ganz nüchtern die Praxis zu dokumentieren.

Es beginnt in Detroit, das nach dem Zusammenbruch der Autoindustrie aussieht wie  Berlin 1945. Weitläufige postkapitalistische Trümmerlandschaft, verrottende Gebäuderuinen, menschenleere Brachfelder – verlassenes Land, das niemandem mehr gehört. Hier findet jetzt ein Wirtschaftswunder ganz anderer Art statt, blühende Landschaften, aber keine Romantik, wie die Feldarbeiter amüsiert anmerken. Als sinnvoll und schöpferisch erlebt, doch harte Handarbeit an der Scholle. Die Leute haben keine Arbeitsplätze und kein Geld, um weit hergebrachte Nahrungsmittel zu erwerben, also pflanzen sie die Nahrung vor Ort an. Das Ganze basiert auf der Idee, dass bald rund 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben werden. Wenn Nahrungsmittel nicht dort produziert werden, wo die Menschen sind, dann tritt der Teufelskreislauf des Wirtschaftens ein, wie wir es aktuell produzieren. Abholzen, Verwüsten, Vergiften natürlicher Räume durch konzentrierten Raubbau, Transportenergie und am Ende der logistischen Nahrungskette die Armen, die  sich derartige Erzeugnisse nicht leisten können. Die Armen aller Erdteile! Das wird hier so einleuchtend, dass man sich vor den Kopf schlagen könnte – da, wo man den Bretterverschlag des Denkens trägt. Der Film macht deutlich – und das ganz ohne »Verschwörungstheorien« –, dass das eigentliche Problem unsere Informationsweise ist. Gemütlich eingerichtet in den Nachrichten der Industrie, glauben wir einfach, was man uns sagt. Doch es ist faktisch Realität, dass weltweit 75 Prozent aller angebauten Lebensmittel von Kleinbauern erzeugt werden. Die Agrarkonzerne liefern den geringsten Teil der Nahrung, sie sind in ganz anderen Geschäftszweigen engagiert. Sie produzieren weniger Essen, als sie Erde verbrauchen und vernichten.

Als nächstes geht es zu den Kleinbauern. Es ist unglaublich was der französische Landwirt erzählt und was wir sehen. Ein steiniges Gelände von tausend Quadratmetern, schlechter Boden, kaum Krume, hat sich im Lauf weniger Jahre, durch vernünftige Behandlung – buchstäblich, denn sie verzichten auf ölgetriebene Maschinen – in einen Paradiesgarten verwandelt. Dort erntet er inzwischen Lebensmittel im Wert von 40.000 Euro. Davon lebt er mit seiner Partnerin und sagt: Jeder kann das tun! Wieder die konkrete Frage: Überlassen wir das Wirtschaften anonymen Mächten oder dubiosen Ängsten – müssen wir jetzt alle Bauern werden? Oder wagen wir einfach mal wieder, die Wirklichkeit, die Wahrhaftigkeit in die eigene Vorstellungswelt einzulassen?! Eine Voraussetzung gehört natürlich dazu – und die macht ebenso Freude wie alles übrige in diesem Film: Niemand schafft das allein! Man sieht wieder neu ein, wie innig Menschen aufeinander angewiesen sind, weder Arbeitsteilung noch virtuelle Welt ändern dieses Grundgesetz der Erde. Und wenn es unsere Menschenwürde wäre? Das, was uns eigentlich auszeichnet, dass wir uns in Freiheit assoziieren können.

Zur Einzigartigkeit dieser Dokumentation gehört der Humor. Allen voran die britischen Teilnehmer, die sich durch knochentrockenen Witz ihrer Bemerkungen auszeichnen. Es kichert im Kino, angesichts der Verrücktheiten des Lebens, die wir uns bereitet haben. Dann treten einem die Tränen in die Augen. Mit welcher Zärtlichkeit der Müllmann in San Fransisco von seinem Kompost spricht …

Der gesamte Zeitverlauf von der 68er Bewegung bis heute wird sichtbar. Es sind nicht mehr die Blumen im Haar, mit ihren Luftwurzeln. Jetzt sind sie im Herzen verwurzelt, die Träume von einer neuen Erde – bei den lebenspendenden Bakterien, den unsichtbaren Kleinstlebewesen. Hier geht es um die entsprechende Technik, die den Kräften des Lebens dient, statt sie zu vergewaltigen. Interessanterweise in unmittelbarer Nähe zu Silicon Valley.

In fünf Kapiteln wird die Zukunft erzählt. Die Fruchtfolge unseres Daseins. Ernährung, Energie, Finanzwirtschaft, Politik, Bildung. Zum guten Schluss, eine Schule in Finnland, das bekanntlich über das erfolgreichste Bildungskonzept verfügt. Die Frage ist: Was macht euch so erfolgreich? Die Antwort lautet: Vertrauen! Ein dezentrales System, das auf institutionelle Kontrolle verzichtet, erlaubt jeder einzelnen Schule den Spielraum der freien Entscheidung. Vor Ort die geeigneten Formen zu finden und zu leben. Da steht der Lehrer und sagt: »Etwas Steiner, etwas Montessori, wir suchen uns einfach das Beste überall.« Aber nicht aus »Rosinenmentalität«, sondern als Konsequenz des Gesprächs zwischen Eltern, Lehrern, Kindern – was sie alle miteinander für ihre Schule für gut halten. Können wir uns das überhaupt noch vorstellen? Ein solches Gespräch ohne Zirkus und Stress, die wirkliche Vertrauensbasis, dass niemand auf seiner alleinseligmachenden Haltung besteht. Denn eine Weltformel der Rettung gibt es nicht, bloß die menschliche Verbindlichkeit derjenigen, die nicht gewillt sind, die Katastrophe hinzunehmen.

Der Film sorgt dafür, dass man sich fröhlich erinnert an den individuellen, gesunden Menschenverstand. Auch so eine aussterbende Eigenschaft, von der man insgeheim glaubt, dass man selbst natürlich darüber verfügt und am besten den anderen behilflich wäre, dass sie ihn wiedergewinnen mögen … Aber so geht es nicht! Es geht ganz anders, so wie der indische Bürgermeister zeigt, der ein ganzes Dorf zur Umkehr gebracht hat, indem er ihm diente. Heute leben Brahmanen Tür an Tür mit den Unberührbaren und wundern sich selbst darüber, wieso sie das je für unmöglich hielten, so nette Nachbarn zu haben, mit denen sie sehr glücklich sind. Ebenso glücklich verlässt man als Zuschauer das Kino, voller Lebenslust und -freude.

Der Film wäre nicht, was er ist, wenn er nicht sogleich zum Handeln anstiften würde: Wenn »Tomorrow« in keinem Kino in Ihrer Nähe läuft, gibt es zwei Möglichkeiten: Möglichst viele Leute zusammentrommeln und das Kino vor Ort bitten, den Film zu zeigen. Die Kinobetreiber können den Film bei Pandora Film Verleih bestellen. Oder treten Sie direkt mit in Kontakt über: www.tomorrow-derfilm.de

Tomorrow (Demain), Doku, Frankreich 2015 / Deutschland 2016, Regie: Mélanie Laurent, Cyril Dion, 118 Min.