Revolutionsschule

Ute Hallaschka

Das basisdemokratische, selbstverwaltete Projekt besteht seit 1973, es gibt keinen Direktor, keine Noten, keinerlei staatliche Zuschüsse. Eine Privatschule, gedacht für Schüler, die aus dem normalen System gefallen sind – so gründlich durchgefallen und ausgestoßen, dass sie nirgends mehr Zugang finden. Der anderthalbstündige Film begleitet die Jugendlichen durch die Schulzeit bis zum Abitur und gibt in kurzen Stellungnahmen, Einblicke in ihre Biographie.

Radikale Freiheit oder freie Radikale? Das ist ja immer die große Frage in der Bildungsdiskussion, sobald es um antiautoritäre Erziehung geht. Die Ergebnisse der Rebellenschule sprechen für sich, tausende Schüler haben dort inzwischen ihr Abitur abgelegt, auf dem zweiten Bildungsweg. In völliger Eigenverantwortung, ohne jeden Druck oder Kontrolle. Wie kommt es also zu dieser Freiwilligkeit der Lernenden? Das wird im Film sehr anschaulich und persönlich erfahrbar. Da ist der wilde Haufen der underdogs zu Beginn. Alex hat mit Anfang 20 schon zehn Schulen hinter sich. Die kunterbunt gefärbte und gepiercte Lena, die ihren Dackel mit zum Unterricht bringt und Hanil, dem das Kiffen zum Verhängnis wurde. Sie alle am Ende, ehe es noch losging mit ihrem Leben. Nun finden sie sich mit den andern in einer Klassengemeinschaft wieder und müssen als erstes lernen, dass sie nicht mehr allein sind, auf weiter Flur. Der erste folgerichtige Schritt: Den Status des Ausgestoßenen abzulegen, denn da sind plötzlich die andern, die mit einem rechnen. Die darauf bauen, dass man zum gemeinsam verabredeten Termin wichtiger Entscheidungen auch wirklich kommt. Der Unterrichtsbesuch ist ebenso freigestellt wie alles übrige, zugleich aber ebenso verbindlich, denn es wird grundsätzlich alles Organisatorische im Plenum besprochen und ausgehandelt. Dennoch kann es geschehen – und es geschieht auch – bei schönem Badewetter, dass der Lehrer allein in der Klasse sitzt. Keiner da, der etwas von ihm will. Was hier nicht geschehen kann, ist verdrängen und totschweigen von Konflikten. Alles basiert auf der persönlichen Beziehung und daher wird auch alles offenbar, was vor sich geht. Die Schüler sind erstaunlich selbstkritisch. Sie sind sich der eigenen Problematik vollkommen bewusst, aber ebenso selbstbewusst formulieren sie ihre Anliegen und Ziele. Die Hoffnungen, die sie hierher gebracht haben. An diesen Ort der Liebe. Denn anders lässt es sich nennen, was die Lehrer bewegt. Das Kollegium ist das tragende Gerüst, das Herzstück dieses Organismus. Für 12,50 Euro Brutto Stundenlohn – ausschließlich von den Schülern finanziert – leisten sie die Unterrichtstätigkeit, die man wirklich selbstlos nennen kann. Ohne jeden missionarischen Eifer, mit ästhetischer Einstellung, im denkbar weitesten Sinne, in diesem Schulgebäude, das so versifft und hässlich ist, dass selbst die Schüler es beklagen. Niemand spricht hier allerdings von Verzicht oder Selbstausbeutung, stattdessen aus Begeisterung. Allen voran der wunderbar rebellische Deutschlehrer Klaus Trappmann – man sollte sämtliche Bildungsminister der Republik mit seinen Aussagen konfrontieren. Elternhäuser kommen in diesem Film, mit einer Ausnahme nicht vor. Es bleibt auch der Phantasie der Zuschauer überlassen, wie die Jugendlichen die Schule, die rund 150 Euro im Monat kostet, finanzieren. Das erfolgreiche Modell dieser Schule für Erwachsenenbildung lässt sich natürlich nicht auf das Kindesalter übertragen. Dennoch vermittelt es die Energie einer Bildungsidee, die aktuell verloren zu gehen droht. Wie immer eine Gesellschaft beschaffen sein mag, in der sich Heranwachsende vorfinden – wenn diese Gesellschaft ihnen nicht radikal den Freiraum der Selbstfindung und -Entdeckung zugesteht, dann sind wir verloren. Woher sonst sollte gesellschaftlicher Wandel kommen? In dieser Hinsicht tut Rebellion mehr als Not! Am Ende des Films muss man als Zuschauer mit ihm weinen, wenn der sanfte Rebell Alex durchs Abitur fällt. Ausgerechnet er, der kunstsinnige Junge mit der weisen Seele, scheitert bei der Prüfung am Fach: Kunst. Im zweiten Durchgang wird er es schaffen, wie wir im Abspann lesen. Da hat er sich – Kleist lässt grüßen – auf die Rahmenbedingungen der Prüfung eingestellt. Wie er selbst sagt: sein umfassendes Wissen zurückgehalten und nur die verlangte Information abgeliefert. An dieser Schule muss übrigens – wie in Finnland, der Pisa Erfolgsnation – kein Lehrer fürchten, dass er in den Knast kommt, weil er einen Schüler in den Arm nimmt und tröstet. Nach wie vor, das zeigt dieser Film, gilt das pädagogische Grundgesetz – Spielraum zu schaffen für das, was nur in Liebe und Freiheit gedeihen kann: der Mensch, das Menschenwesen! Alles andere ist schwachsinnig.

berlin rebel high school,  Dokumentarfilm, Regie/Drehbuch:  Alexander Kleider, 93 Min., Kinostart: 11.5.2017, DOK-WERK filmkooperative, dok-werk.com, FSK: 0