Schattenkinder

Ute Hallaschka

Die gesunden Geschwister müssen sich sehr früh mit Themen wie Verantwortung, Krankheit und Tod auseinandersetzen, dazu stehen sie selbst natürlich zurück. Im Familienleben wie in der Außenwahrnehmung konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die kranken Kinder. Das kommt in den vier Familienporträts ehrlich und offenherzig zur Sprache. So unterschiedlich sie auch sind in ihrem sozialen Umfeld, diese Einbuße wird sowohl von den Kindern als auch den Eltern formuliert.

Einzig Max, der junge Erwachsene, verwahrt sich ausdrücklich dagegen, je im Schatten seiner inzwischen verstorbenen Schwester Judith gestanden zu haben. Im Gegenteil, er hätte sich stets von ihrer Sonne angestrahlt gefühlt. Doch der Zuschauer kann das anders erleben. So sorgte das Übermaß des Verantwortungsgefühls für eine Bindung, die es ihm offenbar im Erwachsenenalter unmöglich machte, zu Hause auszuziehen, solange seine Schwester lebte.

Die Filmemacher begleiten die vier Familien durch ihren Alltag. Die Porträtierten durften jederzeit entscheiden, wo die Kamera dabei sein sollte und wo nicht. Auch die behinderten Geschwister seien sehr wohl imstande gewesen, diese Wahl zu treffen. Die Regisseurin ließ allen Beteiligten bis zum Schluss die Möglichkeit, das gesamte Drehmaterial zu verwerfen – ein hohes Risiko für ihre Arbeit und ein entsprechendes Vertrauen.

Der Film kommt ganz ohne Kommentar aus und lässt die Akteure für sich sprechen. Sie könnten nicht unterschiedlicher sein. Max, inzwischen verheiratet, mit Frau und Kind, in der Erinnerung an Judith – die türkischen Brüder Eymen und Eray, mit ihrer Schwester Selin – Gustaf im akademisch-künstlerischen Milleu mit seiner kleinen Schwester Alma und Svea, die Studentin, deren Bruder Torben als Kind an Krebs erkrankte.

Was sie verbindet, ist das besondere Schicksal, das sich im Alltag ganz konkret im Familienleben zeigt. Den gesunden Geschwistern wird nicht nur ein hohes Maß an Geduld und Humor abverlangt, wenn die kleinen Unruhegeister mal wieder in ihrem Zimmer stehen und mit lustvoller Energie, Sachen durch die Gegend werfen. Eigentlich befinden sie sich in einer Ko-Erzieher-Position. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, wie zukunftsprägend sich die Situation für ihr eigenes Leben darstellt. Häufig entwickeln die gesunden Geschwister Berufswünsche, mit denen man den entsprechenden Krankheiten begegnen kann.

Ursprünglich wurden fünf Familien porträtiert, doch dann sprengte das Material den Rahmen.

Aus der Geschichte der fünften Familie wurde eine eigenständige Reportage für den ARD Sendeplatz »Echtes Leben«. Dieser Film wird voraussichtlich im Winter 2019/20 gesendet werden.

Unzertrennlich / AT: Schattenkinder. Dokumentarfilm. 90 Min. Deutschland 2018, FSK 0, Kinostart 17.1.2019