Sitting Bull – ein Menschenbild

Ute Hallaschka

Jessica Chastain spielt die Rolle der Protagonistin mit sensibler Zurückhaltung, die ihr jede Melodramatik nimmt und dafür eine glaubwürdige Persönlichkeit verleiht. Weldon war das, was man heute eine Bürgerrechtlerin nennen würde. Dazu entwickelt sie sich in ihrer eigenen Biographie Schritt für Schritt. Im Film trippelt sie zunächst mit Schnürstiefelchen und Korsett durch die Prärie, vollkommen naiv, aber aufrichtig bemüht um Menschlichkeit – allem und jedem gegenüber. Das schließt ihre weißen Mitbürger ein. Nicht nur die Soldaten im Fort, auch die Siedler des Städtchens, die sie am Ende beinah gelyncht hätten, um zu verhindern, dass ein verklärtes Bild ihrer Feinde entsteht. Denn darum geht es in diesem Film: um das Bild, das wir voneinander im Kopf haben und dessen Fixierung die Freiheit der Urteilskraft bannt. Die Frage des Vorurteils auf einer anderen Ebene und ganz praktisch gestellt: Wie soll Frieden möglich sein, ohne die Bereitschaft an den eigenen inneren Bildern zu arbeiten?

Der Zuschauer ist von Anfang an damit beschäftigt, mit seiner buchstäblichen Enttäuschung fertig zu werden. Die Heldin in ihrer Ahnungslosigkeit taugt ebenso wenig zur Idealisierung wie die Indianer. 1890 lebten die Sioux bereits im Reservat, das hier wirklichkeitsgemäß als Ghetto in Szene gesetzt ist. Die Filmbilder verweigern jede Romantik – selbst die grandiose Landschaft der Prärie erscheint alltäglich, es herrscht schlechtes Wetter und sie wird in Grautönen inszeniert. Doch das eigentliche Elend, auch für den Zuschauer, ist die Figur des Sitting Bull, ebenso unaufdringlich wie die Heldin, dargestellt von Michael Greyeyes. Er hat nicht nur den Kopfschmuck, sondern sämtliche Insignien der Würde, die wir gewohnt sind zu sehen, abgelegt und ist Farmer geworden. Als sich die beiden zum ersten Mal begegnen, ist Weldon ebenso enttäuscht wie der Zuschauer, tatsächlich buddelt Sitting Bull gerade Kartoffeln aus und ist nicht sonderlich interessiert an seinem Porträt. Was sollte die abgemalte ideale Vergangenheit noch ändern an der aktuellen Elendslage?

Der spirituelle Führer der Lakota war ein weltgewandter Mensch. Er reiste an die Ostküste, um sich mit eigenen Augen vom Leben der Weißen in ihren Städten zu überzeugen und in Erfahrung zu bringen, was diese Zivilisation für die Zukunft seines Volkes bedeutet. Das Porträt der Malerin gibt es tatsächlich, es hängt in North Dakota im Historischen Museum eines Ortes, der den sprechenden Namen »Bismarck« trägt.

Die Frau, die vorausgeht ist im Grunde ein politischer Film, der vom Widerstand des Individuums handelt. Unter allen Umständen, auch wenn es noch so vergeblich scheint und unter Aufbietung aller persönlichen Kräfte der Friedfertigkeit, sich den Vernichtungsimpulsen zerstörerischer Mächte entgegenzustellen. Eine Botschaft, wie sie aktueller nicht sein könnte.

Die Frau, die vorausgeht. Western, Drama, 103 Min., USA 2018, FSK 12