Verpasste Stunde

Ute Hallaschka

Die in Rückblenden erzählte Geschichte des Malers Max, den die Nazis als sogenannten entarteten Künstler mit Berufsverbot belegen, spielt im hohen Norden, in einem kleinen Dorf am Meer. Der Dorflehrer Jens, ein Jugendfreund des Malers, wird zum Vollstrecker. Er zwingt seinen Sohn Siggi, dessen Pate der Maler ist, zu Spitzeldiensten und hetzt ihn in einen Konflikt zwischen zwei Vaterfiguren.

Der Autor Lenz hat sich stets gegen die Rezeption gewehrt, dass Emil Nolde als Vorbild für die Künstlerfigur zu verstehen sei, diese biographische Lesart verfehlt das Anliegen des Romans. Die Rahmenhandlung spielt im Nachkriegsdeutschland. Siggi sitzt in einer Jugendstrafanstalt und soll einen Aufsatz schreiben über die Freuden der Pflicht. Das ist das Thema des Buches. Was in der Aufarbeitung des Nationalsozialismus im Rückblick als Bewusstseinsarbeit erforderlich gewesen wäre – und bekanntlich nicht erfolgte – man könnte es eine Selbstverpflichtung zur Verantwortung nennen, sich den eigenen Taten zu stellen in der persönlichen Erinnerung. Was nach der deutschen Wende erneut versäumt wurde, stellt sich heute weltweit als Frage. In der Klimadebatte wie in der Flüchtlingsbewegung: Was haben wir getan? Wie weit sind wir bereit, das Vergangene auf uns zu beziehen, denn nur so lässt es sich ändern. Was soll das denn sonst heißen: Deutschland verpflichtet sich, seine Klimaziele zu erreichen.

Vor diesem Hintergrund der Diskussion um einen erweiterten und erneuerten Pflichtbegriff individueller Verantwortlichkeit, scheint das Filmprojekt eine ausgezeichnete Idee. Doch um es gleich vorweg zu sagen, der Regisseur Christian Schwochow hat diese Chance nicht genutzt.

An den Schauspielern liegt es nicht, dass Deutschstunde ein ödes Spektakel geworden ist. Tobias Moretti als Maler Max und Ulrich Noethen als Dorfpolizist Jens agieren mit allem Pathos, das ihnen zur Verfügung steht. Was sollen sie auch sonst tun gegen das Vorhersehbare. Die Szenen sind so gebaut, dass man zu jeder Zeit als Zuschauer der Handlung voraus ist. Arrangements wie mit dem Zeigefinger. Bedeutungsschwanger die toten Vögel, rührselige Musik und immer wieder melodramatische Überzeichnung. Wirklich ekelhaft sind die Bestrafungsszenen, wenn der kleine Siggi mit dem Rohrstock verdroschen oder seine Hand auf die Herdplatte gepresst wird. Das sind so eindeutige Anbiederungen an die Gemütslage. Die Art wie der Sadismus ausdrücklich vorgeführt wird, soll das Publikum dazu bewegen, sich ohnmächtig als stillschweigender Zeuge des Geschehens zu empfinden. Als ob wir das nicht täglich real vor den Nachrichtenbildern wären. So wird das nichts mit der Vergangenheitsbewältigung der Zukunft.

Film: Deutschstunde. Drama, Deutschland 2019, Regie: Christian Schwochow. 125 Min. FSK:12