Anmerkungen zu Kummer

Susan Andersen

Der Artikel wirkt zunächst eingängig, doch bei näherem Hinsehen wird mir manches fraglich:

1. Ist es wirklich so, dass sich der Säugling am Blick des Erwachsenen »festsaugt« und sich daran aufrichtet? – Der Blick eines Säuglings ist von träumender Offenheit und an alles hingegeben, saugend wäre zielgerichtet. Und das Vorbild der Aufrichtung wirkt auch unabhängig vom äußeren Seh-Sinn.

2. Denken, schreibt Kummer, heiße die Welt in Sinnzusammenhängen zu erleben. Das erweckt den Eindruck, dass der Sinn ohne eigenes Zutun des Kindes per äußerer Wahrnehmung mitgeliefert würde. Ich bezweifle, dass eine solche paradiesische Einheit von Idee und Wahrnehmung den Denkvorgang impulsieren kann, und zwar deshalb, weil das Kind gerade dann zu denken beginnt, wenn es aufhört »himmlisch« zu sein. Ich vermute, dass das Denken von Anfang an aktiv zwei für uns irdische Menschen getrennte Ebenen zusammen bringt: nämlich Ideenwelt und äußeres Wahrnehmen.

3. Kummer schließt aus der Unruhe von Kindern in Streitsituationen und deren zufriedenem Schlaf bei heiterem Lärm, dass den Säugling vor allem interessiere, wie Menschen miteinander umgehen. Das klingt faszinierend. Sicher hinterlässt die Moralität im Umkreis des Kindes tiefste Eindrücke in Seele und Leib des Kindes. Doch handelt es sich um eine unbewusste Hingabe an die umgebende Stimmung. Ein zielgerichtetes soziales Interesse erwacht erst, wenn es sich von den Handelnden distanzieren kann, das ist etwa ab dem neunten Lebensjahr. Das Baby ist vor allem eingehüllt in das Gemüt der Bezugspersonen. Ob diese Stimmung nun aus positivem Verhalten der Mitmenschen herrührt oder von Übungen der Gelassenheit ausgeht, obwohl der/die Betreffende vielleicht gerade auf schlimmste Weise behandelt wird, ist für die Ruhe des Kindes noch kaum von Belang.

4. Schwach ist zudem die Schilderung des Trotzes. Er besteht ganz gewiss nicht nur aus Verzweiflung darüber, sich nicht adäquat verständigen zu können! Die meisten Eltern wissen sehr wohl, was ihr Kind lautstark verlangt. Im Kind wallt geradezu ein allmächtiger Herrschaftsanspruch auf, der natürlich noch gar nicht verantwortet werden kann. Oft weiß das Kind nicht einmal, was es eigentlich will, Hauptsache es ist »dagegen«. Und so tun wir gut daran, nicht jedem Wunsch nachzugeben, so sehr wir uns auch über die ersten Anzeichen des kindlichen Eigen-Iches freuen können.

Susan Andersen ist Heilpädagogin