Auch nachmittags muss die Qualität stimmen

Silke Schieder

Immer öfter bieten Waldorfkindergärten verlängerte Öffnungszeiten bis 16.30 Uhr und länger an. Die Zuschüsse von staatlicher Seite werden nach den Buchungs- und Öffnungszeiten der Einrichtung berechnet: Je mehr Stunden ein Kind in der Einrichtung betreut wird, umso höher die Einnahmen. Doch wie steht es mit der pädagogischen Qualität der Nachmittagsbetreuung?

Nachmittags werden die Kinder oft von Zweitkräften, Kinderpflegerinnen oder Praktikantinnen im Berufsanerkennungsjahr – teilweise im täglichen Wechsel – oder von Berufsanfängerinnen mit geringerem Stundendeputat betreut. Auch die Nachmittagskinder wechseln oft täglich. Man will ja den Eltern ein Höchstmaß an Flexibilität bieten. Daraus ergeben sich recht unterschiedliche Kinderzahlen, aber auch Kinder- und Personal-Konstellationen.

Während sich die Vormittagsgruppen konstant strukturieren, ist das am Nachmittag selten der Fall. So trifft nachmittags ein buntes Völkchen aufeinander. Die einen kommen aus der Mittagsruhe, die anderen aus dem Garten, wieder andere aus den Stuben drinnen. Sie treffen auf Betreuungspersonen, die ihnen wenig bekannt oder vertraut sind. Das pädagogische Angebot lässt oft zu wünschen übrig und beschränkt sich nicht selten aufs Basteln.

Es fehlt an einem Gesamtkonzept auf waldorfpädagogischer Grundlage, das die Nachmittagsbetreuung nicht als »lästiges Anhängsel«, sondern als festen Bestandteil auf qualitativ ebenso hohem Niveau wie die Vormittagsbetreuung betrachtet.

Bieten wir etwas an, was die Betreuung der Kinder als Ganzes umfasst? Gelingt es uns, von morgens bis nachmittags, einen Rhythmus durchzuhalten, Vorbild zu sein und die Kinder im jahreszeitlichen Geschehen mittun zu lassen? Welche Mittel können wir in Form von Personal und Räumen zur Verfügung stellen? Welches Bild transportiere ich mit der Gestaltung der Nachmittagsgruppen in die Öffentlichkeit?

Das Kind braucht am Nachmittag etwas anderes

Die Arbeit mit den Kindern am Nachmittag wird oft unterschätzt und innerhalb des Kollegiums weniger wichtig und hochwertig erachtet, als die Arbeit am Vormittag. Ein aufregender Tag innerhalb der Gruppe liegt hinter den Kindern, geprägt von freiem Spiel, gemeinsamer Essenszubereitung, dem Morgenkreis und Reigen, einer Gartenzeit, manchmal einem Ausflug. Was während des regulären Gruppenalltages noch gemeinsam auf einer Ebene verläuft und auch aufgefangen werden kann, wird am Nachmittag zum Loslassen und Verarbeiten der Ereignisse und Eindrücke. Hinzu kommen Müdigkeit und auch Erschöpfung bei einigen Kindern. Mit Beginn der Nachmittagsstunden individualisiert sich jedes Kind nach seinen Bedürfnissen und seiner Konstitution, während am Vormittag die Kinder ausgeschlafen und frisch, voller Tatendrang in die Einrichtung kommen. Wenn Kinder ab Mittag nach Hause gehen, schaffen die Eltern den entsprechenden Rahmen für ihr Kind, damit es ausruhen, spielen und Erlebtes verarbeiten kann. Bleiben sie in der Einrichtung, ist es die Aufgabe der Kindergärtnerinnen, diesen Rahmen zu schaffen.

Eine der Grundlagen der Waldorfpädagogik im ersten Jahrsiebt ist der Rhythmus. Dieser gelebte Rhythmus sollte nicht nur morgens eine Rolle spielen, sondern auch am Nachmittag. Gerade für Kinder, die nicht täglich da sind, wird dieser gelebte Rhythmus eine große, nicht zu unterschätzende Hilfe sein, sich in die Nachmittagsstunden einzuleben. Damit ist nicht gemeint, nachmittags noch einmal einen ganzen Vormittag aufleben zu lassen. Damit würden die Kinder überfordert und überfüttert. Dennoch sollte die Balance zwischen Ein- und Ausatmungsphasen beachtet werden, mit Freispielzeit und Vesper und einer gemeinsamen Runde zu Beginn des Nachmittags und zum Abschluss des Tages. Das vertiefte Erleben der Jahreszeiten und Jahresfeste können eine weitere Säule der Arbeit am Nachmittag bilden. Hier bietet sich besonders eine Form des prozessorientierten Arbeitens an, da viele Kinder an unterschiedlichen Tagen anwesend sind, jedes aber an den jeweiligen Tätigkeiten Anteil haben sollte. Gerade die herbstliche Fülle zu Beginn des Kindergartenjahres ist für das Ankommen der Nachmittagskinder ein Geschenk. Die Kindergärten, die an Schulgärten angeschlossen sind, selbst über einen großen Garten verfügen oder naturnah liegen, können aus den herbstlichen Gaben Tag für Tag schöpfen: Sammeln, Bevorraten und Verwerten kann eine Konzeptidee für den Anfang sein. Man muss nur auf Schatzsuche zu gehen.

Ferner ist wichtig für die Nachmittagsgestaltung, dass keine beliebige Abholung möglich ist. Denn für die Kinder ist die Klarheit des Tagesablaufs und -rhythmus, aus dem sie nicht herausgerissen werden sollen, das tragendste Element. Die jeweiligen Wochentage unter ein bestimmtes Motto zu stellen oder bestimmte Angebote an einem Tag anzubieten, davon sei abgeraten. Die »Buchungsmotivation« bekommt sehr schnell »Event-Charakter« und entspricht nicht dem Bedürfnis des Kindes, auszuatmen und das Tagesgeschehen zu verarbeiten. Nicht zuletzt ist die innere Haltung des Erziehers wichtig. Muss man noch da sein, weil das Kind noch da ist, obwohl man lieber nach Hause gehen möchte? – Das Gegenteil wäre richtig: Es müssen zusätzliche Stellen für die Nachmittagsbetreuung eingerichtet werden, besetzt von erfahrenen und motivierten Waldorferzieherinnen.

Nicht nur fürs Geld braucht es Konzepte

Jede Einrichtung hat die Aufgabe, ihr eigenes Konzept für die Nachmittagszeit zu erarbeiten und zu gestalten, sind doch viele äußere Rahmenbedingungen so verschieden, wie die Menschen, die als Kollegium zusammenarbeiten. Ein pädagogisch durchdachtes und hochwertiges Konzept mit Aussagekraft ist auch ein Kriterium für die finanzielle Förderung von Einrichtungen. Hierbei kommt es darauf an wie die Kompetenzfelder der jeweiligen Bildungspläne der Bundesländer erschlossen werden.

Nicht nur um Fördergelder zu bekommen, ist ein gutes Konzept notwendig. Immer mehr Eltern entscheiden sich heute anhand des pädagogischen Konzepts einer Einrichtung für diese, soll doch der Nachwuchs bestmöglich gefördert werden, aber trotzdem Kind sein dürfen. Hinzu kommt, dass es inzwischen die Regel ist, dass beide Elternteile voll berufstätig oder alleinerziehend sind und deshalb eine Ganztages-Einrichtung wählen.

Waldorfpädagogik bietet ein weites Feld von Ideen für die Gestaltung dieser Stunden, wenn es den Kindergärten gelingt, sich dieser Klientel zu öffnen.

Zur Autorin: Silke Schieder ist Erzieherin im Waldorfkindergarten an den Lechauen in Augsburg