»Auf den CSexit«

Ulrich Eise

Neulich traf ich Goethe und Schiller bei einem Glas Wein in der Altstadt. Sie waren auf dem Weg zu einem Vortrag in der Anthroposophischen Gesellschaft. Die Herrschaften und ein paar Damen dort seien nicht so einfach zu handhaben, man müsse sich etwas Mut antrinken, was nicht gerne gesehen würde, aber sie hätten ja schließlich einen gewissen Namen, einen guten Ruf sozusagen, so könne man sich das leisten.

Wie es denn an einer der beiden hiesigen Waldorfschulen so aussehe, war dann die Frage, sie beide, also Goethe und er, Schiller, hätten doch insgesamt allerlei Ideen beigetragen zur Gründung einer solchen außergewöhnlichen Schule, aber was ihnen zu Ohren gekommen sei, entspräche nun ganz und gar nicht ihren Vorstellungen, zumindest die Vorgänge der letzten beiden Jahre, besser der letzten drei Jahrzehnte, mindestens, wenn nicht noch länger. Man hätte dieses neuseeländische Dings, das CSE eingeführt, besser, die Neuseeländer hätten dieses Dings an die österreichischen Waldorfschulen verkauft, diesen einsprachigen Universityentrance, wo die europäischen Universitäten seit Bologna sowieso am Krückstock gingen und kaum mehr zu retten seien, auch noch so etwas. Wo die Ehre geblieben sei – nicht mal in Deutschland würde man auf so etwas hereinfallen.

»Jetzt hör mal her Bürschchen«, sagte Goethe und schaute mir in die Augen.

»Hast Du uns nicht vor drei Jahren erzählt, dass ihr bei einer Eurer Klausuren mein Märchen gelesen habt, das von der Lilie.«

»Habe ich da nicht ausdrücklich erwähnt, was mit einem gemischten König passiert? Während die anderen sich noch mit starken Stimmen über Geheimnisse, Erkenntnis, Licht und Zeit unterhalten, hängt der einfach ab, schwerfällig, müde, stotternd, ein Mischsystem stellt er dar, unvollständig zusammengeschmolzene Metallfetzen, nicht nur sein Aussehen ist unansehnlich, sein ganzes Gehabe ungeordnet, unentwickelt, ein System, das sich in sich selbst bekämpft. Hast Du das nicht schon vor dreißig Jahren bei Wilfried Jaensch am Berliner Waldorfseminar gelernt? Gelernt, dass das der Untergang ist, damals, als man angefangen hat, diese Riesenlehrpläne auszuarbeiten und Noten zu verteilen, wie die staatlichen? Da entstand schon eine Mischung und jetzt habt ihr noch eins draufgesetzt! Einen angelsächsischen Südseeabschluss! Ich bin wirklich sprachlos. Mein Schluss ist, ihr habt nur so getan, dass ihr das Märchen gelesen habt und nur so getan, als ob ihr es verstanden hättet. Die Denkkraft muss wohl ausgeschaltet gewesen sein, sonst würde nicht solch eine Dummheit dabei herauskommen! Herr Ober, bitte noch eine Flasche Riesling Smaragd, der Herr bezahlt!«

Er zeigte auf mich.

»Dem kann ich nur beipflichten«, fiel Schiller ein.

»Man liest ja bei Euch an den Schulen immer den »Faust«, also den von Dir, lieber Johann. Wobei ich da natürlich nichts dagegen habe. Aber, das frag ich mich nun wirklich, warum steht mein »Wallenstein« nicht auf derselben Höhe, warum genießt er nicht dasselbe Ansehen, immerhin, lieber Johann, haben wir doch zur selben Zeit daran gearbeitet, – und dass mein Feldherr ignoriert wird, so glaube ich jetzt zumindest ansatzweise verstanden zu haben, »ihr« – und er deutete auf mich – »wollt einfach nicht wissen, was da drin steht, ihr habt Angst davor oder seid einfach Ignoranten, ihr habt Angst, auch dem Kant durch mich in die Augen zu schauen, anders kann ich mir das nicht erklären!«

Er schaute mir in die Augen.

»Du hast den Friedländer hoffentlich schon mal gelesen?« Ich nickte eifrig.

»Wenn der Max von Wallenstein schwärmt, was sagt die Thekla da zu ihm?«

»Das bist Du!«

»Genau – und was heißt das?«

»Dass er in der Konstruktion seines Wallensteinbildes seine Identität verloren hat!«

»Genau – und was meint Thekla, wenn sie über die Terzky sagt, sie habe einen Zweck?«

»Dass sie sich im Stofftrieb, in der Macht selbst verloren habe, immerhin hätte man Adelstitel in Aussicht!«

»Sehr schön! Da müssen wir anstoßen!«

»Und was passiert zwischen diesen irdischen Überlebensnotwendigkeiten?«

»Da gehen Thekla und Max zugrunde! Max etwas schöner, da er immerhin noch seine Pflicht bis in den Abgrund erfüllt, Thekla dagegen in Reinheit!«

»Zweckfreier Spieltrieb, Schönheit, ja!,« warf Goethe ein.

»Und warum stelle ich Dir diese Fragen – sicher nicht weil Lamormaine von hier aus seine jesuitischen Strippen gezogen hat – mit diesen Gesellschaften kenne ich mich ja auch ganz gut aus – sondern …?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Das CSE ist reiner Stofftrieb, da kauft man sich einen Abschluss, einen Universityentrance aus der Südsee, weil man meint vernünftig zu sein, den Waldorfschülern einen »guten« Abschluss bieten zu müssen, da spielen sich Zweck und Vernunft gegenseitig aus und das Schöne, die Waldorfpädagogik, darauf möchte ich eigentlich hinaus, wird tatsächlich vor den Hufschlag der Pferde geworfen!«

Mehr könne er, Schiller, dazu nicht sagen. Man höre und begreife oder man lasse es sein.

»Herr Ober! Zahlen, bitte.«

Die beiden schauten mich an.

»Wir wissen schon, Dein Gehalt. Für die CSE-Arbeit bekommt ihr auch nichts, das Geld bekommen ja die Neuseeländer, rein zweckfrei idealistisch macht ihr das. Aber unsere Lektionen kosten etwas!«

Ich bezahlte.

Draußen vor der Tür hub Goethe nochmals an:

»Du weißt ja, mit Fichte habe ich nicht sonderlich viel zu tun – aber hat der nicht vom Ich gesprochen als Weg zur Vervollkommnung. Und hat nicht später, mir fällt der Name … genau, ein gewisser Steiner nicht darauf hingewiesen, dass angelsächsische Philosophen diesen Fichte zuschütten würden, nicht verstehen würden, ihn im Kern nicht verstehen würden, ganz und gar überhaupt nicht verstehen könnten, was da aus dem Volkstum als Idee herausgewachsen sei, weil sie rein technisch, materiell und wirtschaftlich dächten! Wie kann man nur …?«, er schüttelte den Kopf – »... und dann noch von Bildung reden!«

»Ich glaube, wir müssen ihn jetzt mal lassen«, sagt Schiller. »Aber eines muss ich auch noch ergänzen: »Den Neuseeländern habe ich kein Drama gewidmet, zu weit weg, Südsee, schön und gut, von den Engländern erobert, dann die Maoris abgemetzelt, ich will ja keine Vergleiche ziehen …

Den Franzosen und den Engländern, naja, vielleicht eher den Schotten, habe ich Freiheitsdramen geschrieben, schön! Der deutschen Nation aber den Wallenstein. Nur lesen müsst ihr ihn schon selbst, der Geist bleibt sonst verschlossen.«

Und deklamierte zum Schluss, bevor sie zum Vortrag davonstiefelten sein berühmtes unbekanntes Gedicht:

Das ist nicht des Deutschen Größe
Obzusiegen mit dem Schwert,
In das Geisterreich zu dringen
Männlich mit dem Wahn zu ringen
Das ist seines Eifers wert.

Schwere Ketten drückten alle Völker auf dem Erdenballe
Als der Deutsche sie zerbrach, Fehde bot dem Vatikane,
Krieg ankündigte dem Wahne,
Der die ganze Welt bestach.

Höhern Sieg hat der errungen,
Der der Wahrheit Blitz geschwungen,
Der die Geister selbst befreit.

Freiheit der Vernunft erfechten
Heißt für alle Völker rechten,
Gilt für alle ewge Zeit.

Um die Ecke biegend riefen sie noch:

»Auf den CSexit!«

Zum Autor: Prof. Ulrich Eise unterrichtet seit 25 Jahren an verschiedenen Waldorfschulen in Österreich (seit drei Jahren an der FWS Graz), Italien und Deutschland in der Oberstufe die Fächer Deutsch, Geschichte, Philosophie, Schauspiel u.a., hat zwei Oberstufengründungen mitbegleitet und ist in der Waldorflehrer- und staatlichen Lehrerausbildung tätig.