Aufruf zum Bildungsgutschein

Dirk Rohde

Dieser Hypothese bin ich an meiner Schule (FWS Marburg) mit der Hilfe unseres Geschäftsführers Andreas Schäfer nachgegangen. Im Jahre 2011 sah unser Budget folgendermaßen aus:

• Wir hatten 457 Schüler, davon 148 in der Primarstufe (Klassen 1-4), 227 in der Sekundarstufe I (Kl.5-10) und 82 in der Sek. II (Kl. 11-13).

• Das Land Hessen zahlte uns an Zuschüssen: pro Schüler der Primarstufe 3.551 Euro, der Sek. I 3.896 Euro und der Sek. II 6.184 Euro, d.h. in Summe: 1.917.028 Euro.

• An kommunalen Zuschüssen erhielten wir 355,50 Euro je Schüler, an Investitions­zuschüssen vom Land 110 Euro, also in Summe: 212.734 Euro.

• Unsere Eltern zahlten an Beiträgen insgesamt: 835.668 Euro.

Wir erzielten auf der Einnahmenseite in 2011 nach dem jetzigen Modell also 2.965.430 Euro.

Der Bildungsgutschein hätte dagegen zu folgender Situation geführt:

• Das Land zahlt uns künftig 100 Prozent statt 87,5 Prozent des inzwischen dank eines Runden Tisches stichhaltig festgesetzten Schüler-pro-Kopf-Satzes. Das ergäbe in 2011 2.190.889 Euro.

• Da das Land uns in den letzten zwei Jahren den Inflationsausgleich vorenthielt, würde dieser nun gezahlt. Ich gehe von sechs Prozent für diese Zeit aus. Das ergäbe 2.322.342 Euro statt 2.190.889 Euro.

• Die kommunalen und investiven Zuschüsse liegen viel zu niedrig. Die Stadt Marburg hat sie jüngst mit 1.343 Euro pro Schüler genau berechnet. Darin sind investive Kosten eingeschlossen. Es ergäben sich also bei 457 Schüler 613.751 Euro.

Da die Elternbeiträge im Gegenzug entfielen, hätten wir in diesem angenommenen, für uns günstigsten Fall 2.936.093 Euro über Bildungsgutscheine erhalten – also sogar ca. 30.000 Euro weniger, als wir tatsächlich in der Kasse hatten.

Dennoch sind wir dezidiert für die Einführung eines solchen Modells, denn nur dadurch lassen sich die Ungerechtigkeiten und Selektionsfolgen des Schulgeldes aus der Welt schaffen, und wir wären endlich wirklich eine Schule für alle, so, wie die Waldorfschulbewegung es seit Rudolf Steiner immer vorhatte.

Die Gehaltsfrage lässt sich so aber offensichtlich nicht lösen. Wir nehmen in Marburg bewusst für einige Kollegen niedrigere Gehälter in Kauf, als sie beim Gymnasium erhalten würden. Das betrifft insbesondere die Alleinstehenden ohne Kinder, die vorwiegend in der Sek. II unterrichten. Dafür haben wir im Vergleich zum Gymnasium eine ganze Reihe von Vorteilen, die wir für höhere Gehälter (die nur durch Verkleinerung des Kollegiums erreichbar wären) aufgeben müssten: Wir unterrichten mehrere Stunden/Woche weniger, in diesen Stunden viel weniger Schüler (Lehrer-Schüler-Relation ca. 1:11 statt 1:19), und haben dadurch auch deutlich weniger Korrekturen. Wir bieten mehrere Fächer an, die es an staatlichen Schulen gar nicht gibt, und dadurch können wir unsere Schülerschaft auch mehr Stunden/Woche unterrichten. Wir können uns unverändert viel Zeit für die ursprüngliche, aufwändige Form der Selbstverwaltung mit Beteiligung sehr vieler Kollegen nehmen. Und wir zahlen tendenziell unverändert Bedürfnislöhne, wie sie sich aus der anthroposophischen Anschauung ergeben: Grundschullehrkräfte bekommen ebenso viel wie Sek.II-Kräfte, und die Zahl der zu versorgenden Kinder macht sich beträchtlich im Gehalt bemerkbar. So gibt es eine Reihe von uns, die finanziell ebenso gut oder sogar besser dran sind als beim Staat, aber eben auch manche, die weniger gut dran sind. Die bessere Altersversorgung der Beamten ist dabei allerdings nicht berücksichtigt, aber wir bieten immerhin eine zusätzliche Betriebsrente an.

Da mir sehr am Bildungsgutschein liegt, ich aber davor warnen will, diesen nicht wegen des ursprünglichen Ansatzes (Vermeidung von finanzieller Selektion), sondern wegen illusionärer Hoffnungen auf höhere Gehälter politisch kraftvoll zu verfolgen, rufe ich hiermit alle am Thema Interessierten auf, für ihre jeweilige Schule eine ebensolche Berechnung durchzuführen. Nehmen Sie sich die Zeit (es dauert nicht lang) und schicken Sie mir Ihre Ergebnisse zu. Ich bin gerne bereit, diese dann für die erziehungskunst zusammenzu­fassen. Da ich nur die exakten Marburger Zahlen kenne, bin ich sehr gespannt, was Sie herausfinden. Meine Hypothese ist, dass der Bildungsgutschein in summa für die deutsche Waldorfschulbewegung mehr oder weniger eine Null ergibt: Einige stellen sich damit etwas besser, andere etwas schlechter. Aber auch diese Hypothese gilt es zu überprüfen.

Abschließend sei noch angemerkt, dass nach meinen Recherchen die Behauptung »Mehr Gehalt – mehr Lehrer« (so die Überschrift des Artikels von Mathias Maurer) nicht stimmt. Für den Lehrermangel gibt es andere Gründe, die ich für ausschlaggebender halte. Aber das ist ein Thema für sich.

Kontakt: d.rohde@waldorfschulemarburg.de