Die Zeit ist reif für den Bildungsgutschein

Mathias Maurer, Tim Göbel

Erziehungskunst | Herr Göbel, die Zeppelin-Universität ist bekannt für ihre unorthodoxen Aufnahmeverfahren. Sie suchen sich ihre Studenten sehr genau aus. Die Abitursnoten sind dabei nicht entscheidend. Was halten Sie von der Gutscheinidee?

Tim Göbel | Ich persönlich halte von der Idee des Bildungsgutscheins sehr viel. Er wird mittelfristig zu mehr Gerechtigkeit im Bildungssystem führen. Jedem jungen Menschen steht – je nach Ausprägung der Gutscheinidee – derselbe Betrag für seine Bildung zur Verfügung. Und wie er diese Gutscheine einteilt und bei welchem Anbieter er sie abruft, kann er selbst entscheiden, gemeinsam mit seinen Eltern. Ökonomen erwarten Innovations- und Effizienzsteigerungen. Aus den USA gibt es bereits die ersten großflächigen Studien, die zusätzlich eine Verbesserung der Lernergebnisse von Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern nachweisen.

EZ | Experten behaupten, der Bildungsgutschein kommerzialisiere die Bildung. Stellt die Einführung von Bildungsgutscheinen einen dritten Weg zwischen Staat und Markt dar?

TG | Den Begriff der Kommerzialisierung müsste man genauer definieren. Meinen diese Experten eine stärkere Nachfrageorientierung, ein Profitstreben der Anbieter oder die verstärkte Etablierung privater Dienstleister? Die Einführung der Bildungsgutscheine auf sämtlichen Bildungsstufen würde unser Bildungssystem allen Einschätzungen nach stärker ausdifferenzieren und somit bunter machen. Feedbacks der Nutzer würden offensichtlicher und das unmittelbar. Und nach wie vor wären Staat und Markt präsent: Der Staat als Emittent der Gutscheine und eigener Bildungsträger, der Markt durch eine wohl steigende Zahl privater Anbieter.

EZ | Befürworter wie Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts, fordern schon seit Jahren die Einführung von Bildungsgutscheinen. Angebot und Finanzierung müssten strikt getrennt sein, sonst gäbe es keine wirkliche Chancengleichheit. Teilen Sie diese Ansicht?

TG | Fakt ist: Unser derzeitiges Bildungssystem reproduziert soziale Ungerechtigkeit. Die eigene Bildung hängt maßgeblich von der Bildung der Eltern ab. Schlimmer als jetzt kann es kaum werden. Ich denke also schon, dass sich die Chancengleichheit deutlich verbessern würde. Denken Sie es einmal bildlich: Da liegt der zweckgebundene Bildungsgutschein für die Kindertagesstätte auf dem Essenstisch der Eltern und erinnert sie unaufhörlich daran, dass sie ihr Kind damit in die Kita schicken könnten. Heute – ohne Gutschein – verwerfen sie diesen Gedanken vielleicht sofort wieder.

EZ | Würde sich der Staat als Bildungsmonopolist zurückziehen und Angebot und Finanzierung getrennt werden: Wie könnte das Recht auf Bildung und Chancengleichheit gewahrt bleiben?

TG | Bereits im 19. Jahrhundert forderte der Ökonom John Stuart Mill die Einführung von Bildungsgutscheinen und 1955 plädierte auch der spätere Nobelpreisträger Milton Friedman für die Einführung von sogenannten Schulgutscheinen. Das Recht auf Bildung würde meiner Ansicht nach durch die Bildungsgutscheine nochmals gestärkt.

EZ | In einigen europäischen Ländern wie in Schweden und den Niederlanden werden die nichtstaatlichen, freien Schulen staatlich voll finanziert. Ist der Schritt zu einem nachfrageorientierten Finanzierungsmodell aus der Sicht der Bürgergesellschaft nicht überfällig?

TG | In Deutschland erhalten die nichtstaatlichen, freien Schulen ja bislang nur einen Anteil an der sonst staatlichen Finanzierung, der je nach Bundesland zwischen 60 und 90 Prozent liegt. Wenn man dies bedenkt, leisten die freien Schulen einen bemerkenswerten Job, da sie entweder mit weniger Mitteln auskommen oder aber durch intelligente Angebote private Förderer gewonnen haben. Aus meiner Sicht wäre es an der Zeit, auf ein vollkommen nachfrageorientiertes Finanzierungsmodell umzustellen. Die selbstverwaltete pädagogische Praxis würde dadurch gestärkt werden.

EZ | Die Entwicklung des europäischen Bildungsraumes steht bei aller nationalen Verschiedenheit unter dem Motto: Einheit in der Vielfalt, grenzübergreifende Anerkennung und Gleichwertigkeit der Abschlüsse, Wissenstransfer und Kooperation, Mobilität der Nachfragenden (Schüler, Studenten). Wären Gutscheine nicht das adäquate Instrument, um diese Ziele umzusetzen?

TG | Prinzipiell ja. Aber das Ziel ist natürlich nochmals größer als die »bloße« Einführung in Deutschland. Und die wird nicht ohne Spannungen vor sich gehen können; denken Sie allein an die Zuständigkeiten auf Landes- und Bundesebene. Ein Gutscheinmodell für Universitäten beispielsweise kann ja in Deutschland nur auf Bundesebene funktionieren. Dem Lebensalltag von Studierenden würde heute oder spätestens in einigen Jahren sicherlich eine europäische, wenn nicht eine globale Lösung, am meisten nützen.

EZ | Die Hauptkritik gegen den Bildungsgutschein besteht neben der Furcht vor Kommerzialisierung darin, dass nur bildungsnahe Schichten von ihm Gebrauch machen würden, was der sozialen Segregation Vorschub leisten würde.

TG | Mit oder auch ohne Bildungsgutschein: Wir müssen in jedem Fall die Bedeutung von Bildung für Eltern und Kinder deutlicher machen. Das könnte durch eine gute Kommunikationskampagne geschehen oder durch smarte Kooperationen von Studierenden und Schülern, bei denen die Schüler in der Auseinandersetzung mit den Älteren erleben, was alles an Positivem gute Bildung  leisten kann. Und durch Vorbilder. »Rock your Life«, ein Sozialunternehmen von Absolventen der Zeppelin Universität, ist ein solches Beispiel, bei dem Hauptschüler von Studierenden gecoacht werden, was ihre Chancen auf eine Perspektive nach der Hauptschule steigert. Zudem sollten sich die verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette Bildung noch enger miteinander verzahnen.