Ein Dokument aus der Schulgeschichte: Früher war alles ...?

Ernst-Christian Demisch

Je nach Bundesland gab es (oft sehr geringe) Zuschüsse. Für den Schulbetrieb war man besonders auf die Zuwendungen der Eltern angewiesen, dabei aber war oft große Not in den Familien, da die Einkommen generell nach 1948 sehr gering waren. Umso überraschender ist ein Dokument, was mir wieder in die Hände fiel: »Mitteilungen aus der Rudolf-Steiner-Schule Berlin – Dezember 1951«. Darin steht unter anderem ein Aufruf vom Vorstand an die Mitglieder, doch wenigstens 40 D-Mark als Schulgeld monatlich aufzubringen, um den wirtschaftlichen Betrieb der Schule zu sichern. Das durchschnittliche Schulgeld sollte so bemessen sein, dass auch für Kinder, deren Eltern diesen Betrag nicht aufbringen konnten, der Besuch der Schule möglich wurde. Der Vorstand der Rudolf-Steiner-Schule Berlin-Dahlem machte durch einen Aufsatz des damals geschäftsführenden Vorstandsmitglied Heinz Demisch (1913–2000) im Mitteilungsblatt Nummer 3 vom Dezember 1951 bekannt, dass 40 D-Mark der Richtsatz sein sollten; Einzelabsprachen seien möglich. 40 D-Mark müsste man heute vielleicht mit ca. 21 € ansetzen.

40 D-Mark?? Was bedeutet das? Was wäre der Wert dieses Betrages heute? Im Ruhrgebiet verdienten damals Bergarbeiter mit ihren bekanntermaßen Spitzenlöhnen zwischen 150 und 350 D-Mark monatlich, das waren jedoch Ausnahmen. Man kann aber auch als Vergleichsgröße – um für uns heute eine Relation herzustellen – den Preis für ein Brötchen, eine Semmel oder Schrippe nehmen. Der lag damals bei 5 Pfennig (oder knapp 2,5 Cent heute). Im Juli 2020 stand bei einer allgemeinen Monatsberechnung in der »Süddeutschen Zeitung« als durchschnittlicher Brötchenpreis (vom Bäcker und nicht vom Discounter) 43 Cent. Das hat mich veranlasst, die Berechnung so vorzunehmen, um die Preisrelation von 1951 zu 2020 herzustellen:

Brötchen: 2,5 ct. zu 43 ct – wie 21.- € Monatsbeitrag zum x – Monatsbeitrag in 2020.

Durch Umsetzung ergibt das:

21 € x 0,43 Cent = 9,03 €, geteilt durch 0,025 €

einen Monatsbetrag von 361, 20 € für das Jahr 2020!

Daran kann man nun die große Bereitschaft jener Elterngeneration erfassen, die diese Beiträge zur Schulentwicklung tatsächlich aufgebracht hat, oft durch große Verzichte im persönlichen und privaten Leben. Zu dieser Betrachtung gehört selbstverständlich auch, den großen Einkommensverzicht der Lehrerschaft und der Mitarbeiter an den Waldorfschulen anzuerkennen und zu würdigen. Vieles hat sich durch die deutlich gestiegene Staatsquote am Waldorf-Haushalt in den letzten Jahrzehnten verändert. Heutzutage liegt in der Bundesrepublik wohl der durchschnittliche Elternbeitrag bei 180 €, Abweichungen nach Bundesländern und Schulstandorten sind natürlich vorhanden. Nimmt man zusätzlich das durchschnittliche Jahreseinkommen von 1951 im Verhältnis zu 2020 (nach Wikipedia z.B.), lässt sich leicht ein Schulgeld in Höhe von ca. 720,– € ermitteln!

Doch es sind eben die besonderen Lebensumstände zu berücksichtigen: damals ein absoluter Mangel an allem, doch ein sehr großes Interesse und Einsatz für Bildung und Kultur – abzulesen an der großen Anzahl von Theatern oder Zeitungen; heute: große Ansprüche an das alltägliche Leben und seine Bequemlichkeiten, aber auch hohe Standardausgaben für z.B. Miete und Mobilität. Bildung und Kultur sind im privaten wie im öffentlichen Haushalt gering anzusetzen. Also damals, nach den Jahren der Unterdrückung, ein großer Einsatz für die neu erworbenen Grundrechte, z.B. für das auf freie Schulen (Art 7.4 Grundgesetz). So ergibt sich aber nach 70 Jahren schon die Erkenntnis, dass nur durch die großen Opfer in der Vergangenheit die Entwicklung der Schulen in Freiheit möglich wurde. Das sollte nicht in Vergessenheit geraten.

Ernst-Christian Demisch besuchte von Ostern 1955 bis Dezember 1959 die Rudolf-Steiner-Schule in Berlin, danach bis 1968 die FWS Frankfurt/M. Unterrichtet seit 1972 als Waldorflehrer.