In der Matrix gefangen?

Rüdiger Dietrich

Es ist nicht vermessen zu behaupten, dass jeder von uns weitere schwerwiegende Nachteile benennen kann, die zeigen, wie metastasierend die Wirtschaft sich mittlerweile in die beiden anderen, von Steiner mit Kultur-/Geistesleben und Recht benannten Bereiche, hineingefressen hat. Das Dogma der Nachkriegszeit: Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es auch den Menschen gut, verkehrt sich seit geraumer Zeit ins Gegenteil. Richtig lauten muss es nun: Geht es der Wirtschaft zu gut, dann geht es den Menschen und der Umwelt schlecht. Man denke nur an den undemokratischen Lobbyismus, der mit Geld wirtschaftspolitische Forderungen weniger gegen die Interessen vieler Menschen durchsetzt.

Ein aktuelles Beispiel ist die Wiederzulassung des Herbizids Glyphosat durch die deutsche Bundesbehörde BfR, die entgegen der Faktenlage und der Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation der Empfehlung der Industrievereinigung (GFT – Glyphosat Task Force, bestehend aus Vertretern von Monsanto, Bayer und Syngenta) folgte und die Veröffentlichungen, die krebserregende Wirkungen von Glyphosat nachweisen, in ihrer eigenen »Untersuchung« ignorierte. Dies wiegt umso schwerer, wenn man sich vor Augen hält, dass aus Steuergeldern bezahlte Behörden eigentlich dem Wohle aller Bürger dienen müssten.

Die Geldpolitik (insbesondere die Geldschöpfung) – ein immens wichtiges ordnungspolitisches Instrument – wird in erheblichem Maße von privaten Finanzinstituten betrieben. Sogar übergeordnete Banken, wie die FedBank in den USA, sind in Privathand. Ebenso die »Ratingagenturen« Moody’s, Fitch und Standard & Poors, deren Urteil zur Finanzsituation von Staaten (siehe Griechenland), verheerende Folgen hatte. Deren mangelnde Objektivität oder besser: Interessenausrichtung wurde z.B. deutlich, als Lehman Brothers noch wenige Wochen vor ihrem Bankrott mit AAA bewertet wurde. Noch unverständlicher ist, warum die Bewertung dieser privaten Ratingagenturen maßgeblich in die Entscheidungen der europäische Bankenaufsicht BaFin einfließt, die doch gerade ordnungspolitisch agieren und Exzesse privatwirtschaftlich arbeitender Institute regulieren soll.

Der Staat, der eigentlich das Gleichgewicht zwischen den sozialen Gliedern oder Bereichen herstellen sollte, agiert immer wirtschaftskonformer und wird seiner Rolle als Interessenvertreter der Allgemeinheit und Gestalter der Zukunft immer weniger gerecht. Die sich daraus ergebenden Nachteile werden immer sichtbarer, die Gesellschaft wird gespalten und entsolidarisiert. Deshalb kann man diese Politik bestenfalls als von »yesterday« bezeichnen.

Verquickung von Wirtschaftskonzernen und Medien

Ratsam ist es, zwischen Wirtschaft und Wirtschafts- und Finanzelite zu unterscheiden. Insbesondere deswegen, weil in der Vergangenheit eine Globalisierung und Monopolisierung in vielen Bereichen der Wirtschaft stattgefunden hat, man denke nur an Google, Apple oder Bayer-Monsanto oder ChemChina-Syngenta. Diese Konzerne haben eine so große Marktmacht, dass innerhalb des Wirtschaftssystems kleinere und mittlere Unternehmen benachteiligt werden, zum Teil sogar drastisch.

Dies wird an den nicht oder kaum gezahlten Steuern vieler Großkonzerne deutlich, im Patentrecht oder in der Einflussnahme auf die Politik. Peter Thiel, ein deutscher Großfinanzier im Silicon Valley, drückte das einmal drastisch mit dem Satz aus: »Wettbewerb ist nur was für Loser!«

Warum besprechen wir als Gesellschaft diese Missstände nicht in angemessener Weise und nutzen das Potenzial vieler Menschen zum Lösen der Herausforderungen? Auch die Printmedien befinden sich in der Hand weniger Eigentümer. Die ZDF-Sendung »Die Anstalt« deckte auf, dass Herausgeber, Chefredakteure oder Ressortleiter wichtiger deutscher Printmedien in politischen Organisationen wie z.B. der Atlantikbrücke, American Council on Germany o.a. tätig sind, wo sich Wirtschaftseliten und Militärs der NATO ein Stelldichein geben (auf youtube verfügbar). Ein Interessenkonflikt muss bei Annahme einer objektiven Berichterstattung unterstellt werden. So verwundert es nicht, wenn in den letzten fünf Jahren 25 Prozent der Bürger der Bundesrepublik in das Lager der Medienskeptiker gewechselt sind. Als Gründe für diese Skepsis werden genannt: a) schlampige Recherche, b) einseitige und manipulative Darstellung von Sachverhalten, c) Verbreitung von Unwahrheiten oder Lügen und d) fehlende Unabhängigkeit. Dies ist umso bedrückender, als die Medien doch die vierte Gewalt im Staate darstellen und eine Plattform für Meinungsaustausch und Meinungsbildung sein sollten.

Es ist essenziell, dass eine gesellschaftliche Meinungsbildung zur aktuellen Lage, den zugrundeliegenden Ursachen und den sich daraus ergebenden Konsequenzen stattfindet, die frei von den Einflüssen der Wirtschaft (im Sinne einer privatwirtschaftlich motivierten Einflussnahme) ist. Mir scheint dabei das Modell der sozialen Dreigliederung geeignet, um den kleinsten gemeinsamen Nenner in jeder Diskussion bilden zu können! Man kann allen plausibel erklären und genügend Beispiele aufzählen, dass die Wirtschaft oder besser die Wirtschafts- und Finanzelite, die derzeit drängendsten Probleme der Menschheit wie Klimawandel, Umweltverschmutzung, Naturzerstörung, freier Zugang aller zu den Grundressourcen wie Nahrung, Wasser und Bildung nicht löst, sondern verstärkt.

Dabei ist Analyse ein zwar wichtiger, jedoch immer nur der erste Schritt. Nur dagegen sein reicht nicht. Es müssen Alternativen entwickelt und benannt werden! Bleibt man in der Logik des Steinerschen Modells, muss es heißen: Wie drängen wir den Einfluss dieser Wirtschaftselite zum Wohle aller zurück und stärken die beiden anderen sozialen Glieder?

Konsumgerechtigkeit herstellen

Viele Autoren des Januarheftes benennen als bessere Wirtschaftsmodelle die assoziative Wirtschaft, also Fair Trade, Gemeinwohlökonomie, Regionalisierung oder biologische Landwirtschaft. Diese Ansätze sind gut und wichtig und bieten echte sinnstiftende Alternativen. Doch sind diese assoziativen Wirtschaftssysteme unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen deutlich benachteiligt. Vergleicht man exemplarisch die Wirtschaftssysteme biologischer Landwirtschaft mit konventioneller Landwirtschaft, so ist es immer noch so, dass die Folgekosten konventioneller Agrarwirtschaft, wie Zunahme der Bodenverdichtung und damit größere Hochwasserschäden, auf die Allgemeinheit abgewälzt werden (Einsatz von Räumkräften, Dammbau, steigende Versicherungsraten usw.). Das Gleiche gilt für die Zunahme von Krankheiten wie Allergien oder im Extremfall Krebs, wenn überzüchtete Sorten oder die Überdüngung von Pflanzen zu unphysiologischen Inhaltsstoffzusammensetzungen führen (Meldung des Umwelt-Instituts München: https://goo.gl/Mr7Fbj).

Wer zahlt weiterhin für die Verminderung der Artenvielfalt (vier Prozent der Arten in Deutschland sind in den letzten Jahren ausgestorben), wer zahlt dafür, dass durch Pestizide mittlerweile 44 Prozent der Insekten gefährdet oder vom Aussterben bedroht sind? Oder dass die Bioinsektenmasse ebenfalls in den letzten 30 Jahren um 80 Prozent zurückgegangen ist? Nicht der Verur­sacher, sondern die Allgemeinheit. Wie schnell würden alternative assoziative Wirtschaftsformen wachsen, wenn Kostengerechtigkeit herrschen würde, wenn ehrliche Produkte plötzlich billiger oder gleich teuer wie ungerecht ausgepreiste konventionelle Agrarprodukte wären?

Somit ist klar, dass die heutigen nicht mehr zeitgemäßen ökonomischen Modelle in jedem Fall um die Ökosystemkosten, um die Gemeinwohlkosten und um den Nachhaltigkeitsgedanken erweitert werden müssen. Damit sind schlüssige Alternativen formuliert, die auf ihre praktische Umsetzbarkeit und gesellschaftliche Akzeptanz hin überprüft werden können. Die soziale Dreigliederung sollte dieses Maß an Konkretheit gewinnen, um tiefer in der Gesellschaft wirksam zu werden. Neben den wirtschaftlichen sollten auch die politischen Alternativen diskutiert werden. Wir brauchen eine strategisch orientierte Politik, die ihrer ordnungspolitischen Aufgabe gerecht wird und ein ausgewogenes Maß zwischen allen sozialen Gliedern herstellt. Interessant ist ein Vorschlag des von Ute Hallaschka im Oktoberheft 2016 besprochenen Films »Tomorrow«, Politik künftig durch – ähnlich wie bei Geschworenengerichten – benannte Bürger zu machen. Oder man verfolgt eine zügige Transformation des derzeitigen Parteiensystems im Sinne der benannten Zielrichtung. Denn soweit ich sehe, bleiben bei heutiger Lage der Dinge kaum Parteien übrig, die wahrhaftig für die Interessen des Volkes und der sozialen Dreigliederung eintreten und die unheilvolle Wirkung des derzeitigen Kapitalismus auf ein sinnvolles Maß begrenzen.

Daher die Aufforderung an jeden, aus der »Matrix« (U. Hallaschka) auszubrechen. Es sollte doch möglich sein, unseren Kindern einen bewohnbaren und friedlichen Kontinent zu hinterlassen. Ich wünsche mir Beiträge, die genauer formulieren, wie das Gleichgewicht zwischen den sozialen Gliedern wieder erreicht werden kann. ‹›

Zum Autor: Rüdiger Dietrich lebt in Jena und ist promovierter Biochemiker und imkert in seiner Freizeit.