Methodisch mangelhaft: Bertelsmanns Bildungsatlas

Heiner Barz

Man kann die Bemühung anerkennen, das Bildungsmonitoring engmaschiger zu gestalten. Es ist verdienstvoll, ehrenamtliches Engagement, Gemeinwohlorientierung und kult­urelle Interessen einzubeziehen. Wie viele Menschen bei der freiwilligen Feuerwehr mitmachen, Knochenmark spenden oder ein Museum besuchen, sagt auch etwas über den Bildungsgrad einer Region aus. Mit einer plausiblen, transparenten und konstruktive Impulse freisetzenden Bildungskartographie hat der Lernatlas dennoch ungefähr so viel gemeinsam wie die Weltkarte eines Christoph Kolumbus mit der GPS-Navigation.

Die Daten zu Lesekompetenz oder mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen liegen nur auf Bundesländerebene vor. Diese Daten in das länderübergreifende Ranking von einzelnen Städten und Landkreisen aufzunehmen, ist höchst problematisch, ja eigentlich unzulässig. Ein zweiter gravierender Mangel: Über eine ganze Reihe wichtiger Parameter im Bildungssystem erfährt man rein gar nichts: zum Beispiel zu den Unterschieden von Jungen und Mädchen, zur Migrantenförderung oder zu Integrationserfolgen. Auch ist ausgeklammert, wie weit sich die soziale Schere, also die Bildungsbe(nach)teiligung nach sozialem Milieu, in den einzelnen Regionen öffnet. Rasse, Klasse, Geschlecht – bei Bertelsmann unbekannt?

Ein weiterer Indikator, der in der bildungsökonomischen Diskussion als Maßstab guter Bildungslandschaften – zum Beispiel in den Analysen des Ifo-Ökonomen Wößmann – eine wichtige Rolle spielt, nämlich der Anteil von Schulen in freier Trägerschaft, wird ebenfalls mit keinem Wort erwähnt. Dabei hält der Privatschul-Boom in der Bundesrepublik unvermindert an und ist zumindest von der Vermutung gespeist, dass die Bildungsqualität an Waldorf-, Montessori- oder kirchlichen Schulen besser ist als die in staatlichen Schulen.

Unbeeindruckt von solchen Einwänden präsentiert der SPIEGEL die Bildungsstudie 2011 als Titelgeschichte und trumpft mit einer 28seitigen Methodenbeschreibung auf, die selbst für sozialwissenschaftlich vorbelastete Leser vor allem eine einzige Botschaft bereithält: Achtung höchst elaborierte Wissenschaft! Alles folgt mathematisch-statistischen, also unangreifbaren Regeln und ist deshalb absolut objektiv. Dabei offenbaren sich bei näherer Betrachtung ziemlich kapitale Fehlinterpretationen. Ein Beispiel: Offensichtlich sind bei den Museumsbesuchen die Touristen, die für Köln oder München einen größeren Anteil ausmachen dürften als für Düsseldorf, nicht herausgerechnet. Die Bildungspendler aus dem Umland dürften den Großstädten die Bilanzen verhageln. Denn die ohne Hauptschulabschluss abgehenden Förderschüler werden am Standort der Förderschule – also oft in der Großstadt – als Problemfälle verbucht. Als Entschädigung hat jeder 6.000 Möglichkeiten, sich bunte »interaktive« Diagramme und Rankings zusammen zu klicken.

Eigentlich müsste mal jemand einen Aufsatz über »Bildungsrankings als Verdummungsinstrument« schreiben.

 

Link: www.deutscher-lernatlas.de