Opa ist bei facebook

Wolfgang Debus

Es musste erst einmal alles ausprobiert werden, was das Internet zu bieten hat. Für alte Menschen gibt es ja keine Jugendschutzgesetze. Und über der Erarbeitung der eigenen Schutzgesetze vergeht manche Nacht und prüft die Partnerschaft – schutzlos der Bilderflut des Netzes und den Lockangeboten bei ebay ausgeliefert. Zeit und Geld können dabei verschleudert werden.

Wenn ich mich dann morgens um drei vor dem Bildschirm frage: Was tue ich hier eigentlich? Oder wenn ich beim schönsten Sonnenschein den Tag verschlafe und merke, dass mir was entgeht, dann bin ich möglicherweise schon tauglich für die Gesellenprüfung.

Ob die Meisterprüfung darin besteht, dass ich mich gekonnt und diszipliniert im Netz bewege, nur das tue, was ich wirklich will, oder darin, dass mein Leben wieder ohne PC lebenswerter wird, vermag ich heute noch nicht zu entscheiden. Zur Zeit habe ich das Gefühl: Die ganze Angelegenheit ist stimmig geworden.

Ich nutze die Netzwerke für vielfältige gesellschaftspolitische und kulturelle Verbindungen und Anregungen, die mich sowohl real mit Menschen und den gemeinsamen Anliegen verbinden, als auch häufig mit ihnen persönlich zusammenbringen. Ich finde Kontakte zu Politikern, Wirtschaftsmenschen und Kulturschaffenden, die auf altertümlichen Post- und Telefonwegen kaum zustande kämen. Ich verabrede mich leicht zu flashmobs, Gesprächen und anderen Aktionen.

Ich kann mir aus dem gesamten Medienprogramm gezielt heraussuchen, was ich wann und in welchem zeitlichen Umfang hören und verkraften will.

Ich nutze die online-Möglichkeiten zum Einkauf dort, wo es passt: Ich lasse mir ungern einen Artikel in einem Ladengeschäft aufschwatzen, an dem der Verkäufer mehr verdient als an einem anderen. Ich laufe auch nicht gerne stundenlang von einem Geschäft zum anderen, um das Passende zu finden. Und ob ich eine bessere Ökobilanz schaffe, wenn ich mit dem Auto 100 Kilometer in die nächste Stadt fahre, um dort einen Artikel zu kaufen und den gesamten Transportweg rechne oder mir zehn zur Auswahl nach Hause (aufs platte Land) schicken lasse, von denen dann neun wieder zurückgehen? Inzwischen habe ich beim Online-Kauf auch den besseren Verbraucherschutz.

Lebensmittel allerdings werden strikt regional eingekauft und die regional und biologisch (-dynamisch) erzeugten bevorzugt. Wenn ich ein Buch bestelle, rufe ich grundsätzlich den örtlichen Buchladen an und bekomme es da schneller. Auch Apothekenartikel kaufe ich im Ort, nach Möglichkeit auch Dinge für die Haustechnik. Wenn ich da nicht das bekomme, was ich haben will, wird gegoogelt. Oder ich schaue mal schnell, ob der Preis für die Heizungsanlage, die mir angeboten wird, gerechtfertigt ist. Und da kann man schon die erstaunlichsten Entdeckungen machen: Da findet man plötzlich ein Ersatzteil, was nach Auskunft der Heizungsfirma nicht mehr zu bekommen ist. Das Motiv ist schnell gefunden: Das Ersatzteil plus Einbau kostet 350 Euro, eine neue Heizung 5.500 Euro.

Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen am Computer ist die Reiseplanung.

Ein Wunschziel aussuchen. Wie ist das Wetter da? --> Wetter.de. Wie sieht es denn da überhaupt aus? --> google earth. Hochglanzwerbeprospekte sind geduldig, die zeigen immer Sonnenschein und geputzte Straßen. Na gut, die Aufnahmen von Google-Earth werden auch nicht bei Schneetreiben gemacht. Aber ich kann auf jeden Fall sehen, ob bei meinem Ferienhaus eine Eisenbahnlinie oder eine Hauptverkehrsstraße längs läuft, oder ob in der Nähe ein Industriegebiet ist, wie weit der Bahnhof oder der Flughafen entfernt ist, u.a.m. Ich kann mir das Haus von außen anschauen, die Umgebung, die günstigste Transportmöglichkeit herausfinden und an den Bewertungen ablesen, wie zufrieden bisherige Gäste mit dem Domizil waren. Bis die Mitarbeiter im Reisebüro mein kompliziertes Wunschgeflecht erfasst haben und dazu das entsprechende Angebot herausgefunden und organisiert haben, ist der Sommer vorbei.

Facebook? Ja, Facebook ist immer ein besonderes Reizthema. Das hält die Partnerschaft in Bewegung! »Was, du bist bei Facebook?!? Bist du von allen guten Geistern verlassen? Was da alles passieren kann! Stell da bloß keine persönlichen Daten ein und vor allem keine Bilder! Wenn du dich irgendwo bewerben willst, wissen die schon vorher alles über dich!« Auch vor dem Verfassungsschutz habe ich keine Angst.

Hauptsächlich habe ich in den letzten Jahren viele Kontakte mit ehemaligen Schülerinnen und Schülern über Facebook bekommen und mehr oder weniger gepflegt. Welchen Lehrer interessiert es wohl nicht, was aus seinen Schülern geworden ist?

Alles das wäre ohne Internet nicht möglich. Aber ist das alles nicht nur virtuell? »Virtuell« ist eine Eigenschaft, die in negativer Auslegung häufig mit dem Bereich der Kommunikation über den Computer verbunden wird. Es wird virtuell dann meist im Sinne von unwirklich gedeutet. Dieser Gegensatz ist falsch, weil virtuell den Gegensatz von physisch vorhanden, greifbar bedeutet. Die Computerwelt ist alles andere als unwirklich. Sie ist sehr real und wirkungsvoll.

Ob das ausreicht, um sozial tragfähige Verhältnisse zu schaffen, um die Menschen einer gegenseitigen Achtung näher zu bringen, um sie fähig zu machen, die Schöpfung Gottes zu achten und zu pflegen, vermag ich nicht zu sagen.

Meine persönliche Erfahrung ist, dass der Computer sowohl im Bereich der Kommunikation wie auch im Bereich der Vermittlung und Aneignung eines umfassenden (Fach-)Wissens keine Konkurrenz hat, unerschöpfliche Möglichkeiten der Wissenschaftsverbindung bietet und deshalb zur Bewusstseins- und Erkenntnisbildung jedem Menschen individuell dienlich ist.

Schulen, Universitäten und andere Ausbildungsstätten hängen in ihrer Wissensvermittlung und im Austausch der Fachfragen schon lange am Tropf Internet.

Im Computer ist das Geistige so viel und so wenig, wie es in den Menschen ist, die mit den Möglichkeiten des Internets, der Datenspeicherung und -verarbeitung ihren Alltag gestalten und mit anderen Menschen kommunizieren. Aber gegen viele der bisherigen Praktiken aus dem gesellschaftlichen Alltag, die sich zum Ende des letzten und zum Anfang dieses Jahrhunderts immer mehr den egozentrischen Zielen von Macht- und Geldgier unterworfen haben, bieten die Mittel und Wege des Internets Abwehrmöglichkeiten.

Es ist erschreckend, wie viele Menschenrechtsverletzungen und die Schöpfung verachtende Taten täglich auf der Welt geschehen. Aber es ist hoffnungsvoll, wie viele Menschen sich in kürzester Zeit gegen diese Missstände vereinigen, Petitionen unterschreiben, auf die Straße gehen und/oder tatkräftig Hilfe leisten. Ohne das Internet wäre weder eine globale Sicht des Bösen noch eine Globalisierung des Menschlichen möglich. Es ist immer der Mensch selber, der entscheidet, was er im Leben tut, wie er es tut und was er damit bewirkt.

An dieser Stelle ist noch wenig darüber gesagt, was wir der Jugend empfehlen und zur Verfügung stellen sollten, womit wir sie belasten, was wir ihnen vorenthalten dürfen oder sollen oder müssen. Wenn dazu aber Phrasen, Standpunkte und Konventionen unsere Grundlage bilden, heißt das nichts anderes, als dass wir nichts über das wissen, was Kinder, Jugendliche und junge Menschen an Aufgaben und Intentionen in sich tragen.

Wenn wir im kleinen Kind und im Heranwachsenden den Menschen nicht finden, werden wir aus Hilflosigkeit gegenüber ihrer Kompetenz und aus falschem Autoritätsanspruch nur die falschen Lösungen finden und nur unsere Standpunkte diskutieren, ob es richtig ist, dass sie »früh lernen, damit umzugehen« oder, wie wir sie möglichst lange von solch schlechten Einflüssen fernhalten.

Letzteres beinhaltet dann wenigstens die Hoffnung, dass wir einige Parzivale in die Welt entlassen würden.

Wie sagt doch Khalil Gibran? »Eure Kinder sind nicht eure Kinder. Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber. Sie kommen durch euch, aber nicht von euch. Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht. Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken. Denn sie haben ihre eigenen Gedanken. Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen. Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen. Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein, aber versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen. Denn das Leben läuft niemals rückwärts, noch verweilt es im Gestern. …«

Eine solche Erziehungshaltung – oder besser gesagt. Begleitungshaltung – nicht nur als richtig zu empfinden, sondern sie auch einigermaßen durchzuhalten, ist schwer. Auch wenn Generationen von Müttern und Vätern erfahren haben, dass sie letztlich den Weg ihrer Kinder nicht bestimmen, sondern allenfalls wohlwollend begleiten können, wird es den meisten älteren Menschen verwehrt sein, aus Erkenntnis klug und weise mit der jungen Generation umzugehen.