Schiefe Fragestellung

Jan Respond

Geht man von der Frage aus, wem höhere erzieherisch-pädagogische Kompetenz zugesprochen werden soll, ob Eltern oder Lehrern, verfehlt man damit gewiss den sachlich adäquaten Einstieg. Auch die sich auf den ersten Blick anbietenden »Knopflöcher« der Professionalität, des Dilettantismus oder jene der Hierarchie und der Macht, entpuppen sich als blockierende Sackgassen. Warum?

Zur Elternschaft meines ersten Klassenzuges zählten neben ausgewiesenen und erfahrenen Lehrern von Regelschulen auch mehrere Gründungslehrer und -lehrerinnen dieser Rudolf-Steiner-Schule. Es war also sicher nicht irgendwelche »dominierende Professionalität«, die mich zu meiner Arbeit legitimiert hätte, noch wäre es ein hilfreicher Ausweg, sich gar auf »Amt« oder »Macht« berufen zu wollen, oder die Eltern als »Dilettanten« zu betrachten.

In der Begegnung von Eltern und Lehrpersonen ist auf emotionaler Ebene das gegenseitige Vertrauen, auf struktureller Ebene die Klärung der Verantwortlichkeiten Salutogenese.

Egal wer zu meiner Elternschaft gehört: Im unmittelbaren Unterricht trage ich als Lehrer die Verantwortung für mein Tun und Lassen. Beides kann von den Eltern  gestützt, hinterfragt oder auch kritisiert werden. Ihnen und ganz besonders dem Kollegium gegenüber bin ich gerade bei kritischen Anliegen auch Rechenschaft schuldig. Mitsprache in der Beratung ist zunächst nur positiv: Lieber eine gute Idee mehr anhören, als eine zuwenig! Im Elternhaus hingegen liegt die Verantwortlichkeit nun mal nicht bei der Lehrerschaft. Trotzdem: In gegenseitiger Toleranz kann Beratung alles umfassen, aber Eltern können auch zur Rechenschaft gezogen werden, z.B. wenn Schüler völlig übermüdet zur Schule kommen, der Verdacht auf Vernachlässigung oder gar auf Misshandlung besteht. Es ist kennzeichnend für die Abnahme der selbstverständlichen Vertrauensbasis, dass vermehrt auch in Staatsschulen Zusammenarbeitsverträge geschlossen werden.

Im Bildvergleich vielleicht besser verständlich: Wenn das Flugzeug über dem Atlantik  einer heftigen Gewitterzone entgegensteuert, kann der verantwortliche Pilot dankbar Ratschläge der Flugsicherung entgegennehmen, es könnte sich sogar ein an Bord befindlicher gewiefter Meteorologe als Passagier zu Wort melden, aber letztlich gibt es kein Abwälzen der Verantwortung und der Entscheidung für den Piloten. Würden Passagiere, Flugbegleiter oder sonst jemand eine Mitbestimmung durchsetzen wollen, wäre dies eine Einflussnahme, wo sie nicht hingehört. Nach erfolgter Landung können Applaus oder Rechenschaft erfolgen und Platz haben. Sinngemäss nun zu übertragen auf  »Schulzimmer« und »Elternhaus«.

Das »erste Knopfloch« ist also die Frage nach dem »Modus« und nicht nach fixen »Rollenansprüchen«: Mütter und Väter haben in meiner Klasse z.B. in Klassenlagern, Theateraufführungen, Spieltagen, in Epochen (Berufskunde, Hausbau, Griechische Geschichte usw.) und an Elternabenden mitgestaltet. Die Frage nach Mitverantwortung und -bestimmung kam gar nicht erst auf, denn die Crew war in ihrer jeweiligen Zusammensetzung als »handlungsbevollmächtigt« erkennbar.

Auswüchse einer peniblen »Rollenzuteilung« sind zunehmend da erkennbar, wo in gut gemeinter Art z.B. in Schulmitteilungen zu jedem Verfasser eines Artikels angegeben wird, ob die Gedanken von einem Elternteil (E), einem Vorstandsmitglied (V) oder einer Lehrperson (L) geschrieben sind. Als ich vor Jahren einen Beitrag verfasste, dannzumal an der Schule als Oberstufenlehrer wirkte, aber auch im Vorstand war und mein Sohn die Schule noch besuchte, konnte ich auch mit grösster  Mühe die Ideen nicht dem E, V oder L zuteilen! Andernorts ist es sehr von Interesse, ob die Äusserungen CDU, CSU, FDP oder SPD zugeordnet werden können, manchmal schon bevor man sie gelesen hat.

Link: Mathias Maurer / Ariane Eichenberg: »Gibt es Grenzen der Mitwirkung?«